Ist Nachhaltigkeit messbar? Der Wert von Labels, Zertifizierungen und Bilanzierungen

Nachhaltigkeit in der zeitgenössischen Musik

9. April 2025 | Dr. Ralf Weiß

Grafik zum Workshop_zeitgenössische Musik Berlin

Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur gewinnt zunehmend an Bedeutung – Labels und Zertifizierungen gelten dabei als wichtige Indikatoren für ökologisches Engagement. Doch welche Standards und Messmethoden gibt es? Worin unterscheiden sich diese Labels, und wie aussagekräftig sind sie wirklich?
Dieser Leitfaden basiert auf einem Workshop von Dr. Ralf Weiß, Vertreter des Netzwerks 2N2K für Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur. Auf Grundlage jahrzehntelanger Erfahrung beleuchtet er die Herausforderungen und Chancen von Nachhaltigkeitszertifizierungen und bietet wertvolle Einblicke in deren Wirkung und Aussagekraft.

Hintergrund

Das Interesse an nachhaltiger Entwicklung und ihren vielen miteinander verwobenen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen hat in den letzten Jahren im Kultursektor deutlich zugenommen. Auch in der Kulturförderung gewinnt das Thema an Relevanz und die Antragsteller*innen werden häufig aufgefordert, bei der Umsetzung von Projekten nachhaltige und klimafreundliche Ansätze zu berücksichtigen.

Damit die Antragsteller*innen mit diesen zusätzlichen Anforderungen nicht allein gelassen werden, haben sich die Ernst von Siemens Musikstiftung, das Goethe-Institut, Impuls neue Musik, inm / field notes, der Musikfonds, ON Köln, die Akademie der Künste Berlin und Art Music Denmark für eine Reihe von Workshops zum Kompetenzaufbau im Bereich der nachhaltigen Entwicklung zusammengeschlossen.

Der folgende Text ist eine schriftliche Dokumentation des Workshops »Ist Nachhaltigkeit messbar? Der Wert von Bewertungen, Zertifizierungen und Labels« von Dr. Ralf Weiß, Leiter des Netzwerks 2N2K für Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur. Auf Grundlage jahrzehntelanger Erfahrung beleuchtet er darin die Herausforderungen und Potenziale von Nachhaltigkeitszertifizierungen.

Praxisnahe Einblicke lieferten Kathrin Schulze, Kaufmännische Leiterin des Ensemble Modern, mit der Vorstellung des »Zertifikat Ökolabel«, sowie Maike von Bredow (Assistenz der Geschäftsführung) und Thore Strothmann (Kaufmännischer Leiter) vom Ensemble Resonanz, die das Projekt Urban String »Zero« präsentierten.

Weitere Dokumentationen der Workshops zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie hier.

Inhalte

  1. Einleitung
  2. Standards und Labels
  3. Messung und Berichterstattung
  4. Wert von Zertifizierungen
  5. Zusammenfassung

Einleitung

Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur wird immer wichtiger. Labels und Zertifizierungen spielen eine entscheidende Rolle dabei, das ökologische Engagement sichtbar zu machen. Doch welche Standards und Messmethoden existieren? Worin unterscheiden sich die Labels, und wie wirksam sind sie?

Ziel ist es, ein besseres Verständnis für die Vielfalt der Nachhaltigkeitslabels zu entwickeln und eine fundierte Einschätzung ihrer Bedeutung zu ermöglichen. Der Leitfaden bietet eine strukturierte Einführung in die wesentlichen Themen: 

  • Übersicht über Standards und Labels
  • Messung und Berichterstattung
  • Zertifizierungsprozesse

Der Leitfaden folgt der zentralen Frage: Sind Standards und Labels für die Musikindustrie relevant? Er navigiert durch die komplexe Landschaft von Nachhaltigkeitsverpflichtungen, die von breiten Selbstverpflichtungen bis hin zu konkreten Labels und Zertifizierungen reicht. 

Das folgende Pyramidendiagramm veranschaulicht, wie Selbstverpflichtungen die Grundlage bilden, gefolgt von Leitlinien und Standards, mit Labels an der Spitze, die einen strukturierten Ansatz zum Verständnis ihrer Rolle und Wirkung bieten.

Grafik zum Leitfaden_Self Commitment

Während allgemeine Nachhaltigkeitslabels, wie der Blaue Engel für umweltfreundliche Produkte, existieren, hat der Musiksektor eigene Initiativen, darunter Music Declares Emergency und der Green Rider. Praxisbeispiele wie die Oper Leipzig veranschaulichen die Nuancen zwischen Nachhaltigkeitsansprüchen und offiziellen Zertifizierungen. Bei der Betrachtung von Zertifizierungen im Musiksektor stellt sich die entscheidende Frage: Wann macht es wirklich Sinn?

Organisationen beschäftigen sich typischerweise aus zwei Hauptgründen mit Nachhaltigkeitslabels und -standards:

  1. Wirkung erzielen:

Viele Organisationen eint das Anliegen, dass ihre Nachhaltigkeitsbemühungen einen echten Unterschied machen.

  1. Sichtbarkeit erlangen:

Wer etwas bewirkt, möchte seine Anstrengungen auch gerne gewürdigt sehen.

Zwischen Einfluss und Sichtbarkeit gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die von informellen Nachhaltigkeitsverpflichtungen bis hin zu vollständig zertifizierten Labels reichen. Doch über diese beiden Aspekte hinaus sprechen auch praktische Gründe dafür, Standards und Zertifizierungen sowohl intern als auch extern zu implementieren.

Extern:

  1. Sichtbarkeit
  2. Transparenz / Verifizierung / Validierung
  3. Akzeptanz
  4. Erwartungen / Verpflichtungen
  5. Glaubwürdigkeit
  6. Image

Intern:

  1. Wirkung / Selbstwirksamkeit
  2. Systematischer Ansatz
  3. Messung
  4. Koordination / Management
  5. Sicherheit

Das Verständnis dieser Aspekte hilft Musikorganisationen, zu beurteilen, ob Zertifizierungen, Standards oder Labels mit ihren Zielen und ihrer Strategie übereinstimmen.

Standards und Labels

Bei der Betrachtung von Nachhaltigkeitsstandards und -labels ist es entscheidend, den weiten Umfang zu erkennen, den sie abdecken. Labels beschränken sich nicht auf ein einziges Thema; sie gelten für Organisationen, Produktionen, Veranstaltungen, Produkte und Managementsysteme. Bevor ein spezifisches Label ausgewählt wird, ist es wichtig zu verstehen, ob es mit den eigenen Zielen und betrieblichen Bedürfnissen übereinstimmt.

Grafik zum Leitfaden_General Standards

Labels unterscheiden sich nicht nur in ihren Schwerpunkten, sondern auch in ihrem Umfang. Einige behandeln Nachhaltigkeit auf eine umfassende Weise, wie zum Beispiel das Sustainable Event Label (Sustainable Event Management Veröffentlichungen), während andere spezifische Aspekte wie Energieeffizienz, Ressourcennutzung oder Menschenrechte ansprechen. Die Wahl des richtigen Labels erfordert eine Bewertung seiner Relevanz für die eigene Arbeit und eine Sicherstellung, dass es die Nachhaltigkeitsprioritäten widerspiegelt.

Ein Land, das bedeutende Fortschritte bei der Nachhaltigkeitszertifizierung für Kunst und Kultur gemacht hat, ist Österreich. Das österreichische Umweltzeichen ist eine der etabliertesten Zertifizierungen in diesem Bereich. Es deckt verschiedene Formate ab, darunter Konferenzen und Veranstaltungsorte, Museen, Theater oder Kinos. Dieses Label dient als Modell für Nachhaltigkeitszertifizierungen im Kulturbereich und zeigt, wie Standards auf unterschiedliche Sektoren innerhalb der Kunst angepasst werden können.

Die Wahl eines Labels hängt von seinem vorgesehenen Zweck ab. 

Nachhaltigkeitslabels im Musik- und Kulturbereich können in mehrere wichtige Typen unterteilt werden: Managementsystem-Labels konzentrieren sich auf die strukturellen Nachhaltigkeitspraktiken einer Organisation, während Reporting-Labels Transparenz und Nachhaltigkeitsberichte betonen. Event-Labels sind für kulturelle Veranstaltungen und Festivals konzipiert, um nachhaltige Praktiken in der Planung und Durchführung sicherzustellen. Produktions-Labels zielen speziell auf die Nachhaltigkeit in der künstlerischen Schaffung und Bühnenproduktion ab. Schließlich bezieht sich das organisatorische Label auf Institutionen insgesamt und zertifiziert deren gesamtes Engagement für Nachhaltigkeit.

Da die meisten Nachhaltigkeitslabels freiwillig sind, sollte die Entscheidung, eines zu übernehmen, sorgfältig auf der Grundlage der eigenen Ziele, Bedürfnisse und verfügbaren Ressourcen getroffen werden.

Grafik zum Leitfaden_Sustainability Standards
Grafik zum Leitfaden_Sustainablity Standards II

Die Messung und Berichterstattung von Nachhaltigkeit sind eng mit Labels verbunden. Das Verständnis, wie man den Einfluss misst und über Nachhaltigkeitsbemühungen berichtet, ist entscheidend für Glaubwürdigkeit und Transparenz. Kulturorganisationen müssen entscheiden, welche Messmethoden für sie relevant sind, da es eine breite Palette möglicher Indikatoren gibt. Verschiedene Organisationen und Sektoren verwenden unterschiedliche Nachhaltigkeitsindikatoren. Einige werden durch politische Rahmenbedingungen oder Branchenverbände festgelegt, während andere spezifisch für bestimmte Bereiche wie Film oder Museen sind. Häufige Messbereiche umfassen Energieverbrauch, Mobilität und Transport sowie Bewertungen der Klimaauswirkungen.

Ein Beispiel ist das Green Motion-Label in der Filmindustrie, das 22 Indikatoren umfasst, wie eine No-Flight-Politik und Anforderungen zur Nutzung erneuerbarer Energien. Diese Indikatoren variieren jedoch erheblich zwischen den verschiedenen Kultursektoren.

Grafik zum Workshop_Sustainability Labels
Grafik zum Leifaden_Sustainablity Labels II
Grafik zum Leitfaden_Sustainability Labels III
Grafik zum Leitfaden_Sustainability Labels IV
Grafik zum Leitfaden_Sustainability Labels V

Messung und Berichterstattung

Es ist wichtig, zwischen Messung (der Sammlung von Daten zur Nachhaltigkeitsleistung) und Maßnahmen (den ergriffenen Aktionen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit) zu unterscheiden. Organisationen sollten festlegen, welche Indikatoren sie realistisch verfolgen können und welche Maßnahmen sie umsetzen können.

Grafik zum Leitfaden_Sustainability Measurements and Indicators

Berichtspflichten: Was gilt für den Kulturbereich?
Viele Organisationen sind besorgt über die Berichtspflichten, insbesondere die Europäische Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie (CSRD). Diese Richtlinie gilt jedoch hauptsächlich für große Unternehmen. Alle Unternehmen, die zwei der drei Größenkriterien erfüllen:

  • über 250 Mitarbeiter*innen
  • über 50 Millionen Euro Umsatz
  • über 25 Millionen Euro Gesamtvermögen

Da die meisten kulturellen Organisationen weniger als 50 Mitarbeiter*innen haben, sind sie gesetzlich nicht verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen.

Arten der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Die folgenden drei Ansätze können für Kulturorganisationen relevant sein:

  1. Klimabilanzen – Werden verwendet, um die Treibhausgasemissionen zu bewerten.
  2. Nachhaltigkeitsberichterstattung – Basierend auf Rahmenwerken wie dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK).
  3. Gemeinwohl-Ökonomie-Berichterstattung – Ein werteorientierter Ansatz, der im Kulturbereich noch selten angewendet wird.

Obwohl einige Initiativen zur Buchführung und Berichterstattung existieren, sind diese im Kulturbereich nicht weit verbreitet und bleiben optional. In den meisten Fällen besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur Berichterstattung von Nachhaltigkeitsdaten, was die Entscheidung zu einer strategischen Wahl für jede Organisation macht.

Wert von Zertifizierungen

Wann sind Zertifizierungen notwendig? Wie oben bereits erwähnt, können Zertifizierungen zwei Hauptziele verfolgen: Wirkung und Sichtbarkeit. Während Standards und Zertifizierungen in anderen Branchen weit verbreitet sind, sind sie im Kulturbereich noch nicht alltäglich. Besonders im Bereich Energiemanagement und Umweltmanagementsysteme gibt es in Kunst und Kultur bisher nur geringe Verbreitung. In Deutschland werden Zertifizierungen im Kulturbereich vor allem von großen staatlich geförderten Institutionen genutzt, während private kulturelle Organisationen etablierte Systeme wie EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) nur selten übernehmen. Obwohl es laufende Bemühungen gibt, neue Nachhaltigkeitsinstrumente speziell für den Kultursektor zu entwickeln, befinden sich die meisten dieser Initiativen noch in den Anfangsstadien und sind noch nicht weit verbreitet.

EMAS-zertifizierte Organisationen:

  • Kulturstiftung des Bundes
    • Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin
    • Haus der Kulturen der Welt
    • LVR-Archäologischer Park Xanten LVR-RömerMuseum
    • Bier- und Oktoberfestmuseum
    • Internationale Filmfestspiele Berlin

Öffentliche Verwaltungen und Institutionen wie das BKM sind verpflichtet, eine EMAS-Zertifizierung zu durchlaufen.

Der Filmsektor bietet eines der wenigen strukturierten Zertifizierungsmodelle: Das Green Motion-Label umfasst 22 Nachhaltigkeitskriterien. Die Zertifizierung (durchgeführt von PricewaterhouseCoopers) erfordert, dass Organisationen 17 der 22 Kriterien erfüllen. Außerhalb der Filmindustrie sind ähnliche Systeme jedoch weitgehend abwesend.

Zusammenfassung

Obwohl es einige Nachhaltigkeitslabels im Musiksektor gibt, ist deren Nutzung noch sehr begrenzt. Es existieren keine verpflichtenden Zertifizierungsanforderungen, und nur wenige Pioniere testen Nachhaltigkeitsstandards.

Grafik zum Leitfaden_Sustainability Standards and Labels

Ein entscheidender Aspekt bei der Bewertung von Nachhaltigkeitslabels ist die Unterscheidung zwischen internen und externen Werten und Vorteilen. Organisationen sollten sorgfältig abwägen, ob und inwieweit ein bestimmtes Label für sie vorteilhaft ist. Wenn ein Label Vorteile zu bieten scheint, ist es wichtig, genau zu prüfen, welche spezifische Zertifizierung am relevantesten für ihre Struktur und Ziele ist.
Wie am Beispiel von EMAS gezeigt, sind viele Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen für große Organisationen konzipiert. Da viele kulturelle Institutionen und Initiativen jedoch in kleinerem Maßstab arbeiten, ist es entscheidend zu beurteilen, welche Standards und Labels für ihre Größe, Effizienz und Gesamtwirkung geeignet sind.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Messung und Berichterstattung von Managemententscheidungen. Eine ordnungsgemäße Dokumentation und Auswertung unterstützen nicht nur die Transparenz, sondern helfen auch dabei, die Nachhaltigkeitsstrategien der Organisationen im Laufe der Zeit zu verfeinern.
Schließlich ist es wichtig zu erkennen, dass das Feld der Nachhaltigkeitszertifizierungen von Aktivismus, Lobbyarbeit, Symbolik und kommerziellen Interessen beeinflusst wird. Nicht alle Standards dienen notwendigerweise den spezifischen Bedürfnissen einer Organisation. Daher ist ein kritischer Ansatz erforderlich, um zu bestimmen, ob eine bestimmte Zertifizierung wirklich mit den Zielen einer Institution übereinstimmt und ihre Position stärkt.

BEST PRACTICES

ENSEMBLE MODERN – Zertifikat Ökolabel

Kathrin Schulze von Ensemble Modern, mit Sitz in Frankfurt, gab Einblicke in das EcoProfit-Managementsystem (Zertifikat Ökolabel), einen Umweltmanagementansatz, der Unternehmen und Organisationen dabei unterstützt, ökologische Überlegungen in ihre Betriebsabläufe zu integrieren.
Für das Ensemble Modern sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz seit langem wichtige Themen. Im April 2021 initiierte Johannes Schwarz, ein Fagottist des Ensembles, die Diskussion, indem er eine Sammlung von Ideen und Dokumenten zu Nachhaltigkeitsbemühungen vorlegte. Das Ensemble erkannte schnell, dass es trotz zahlreicher Ideen und Visionen an einem strukturierten Ansatz mangelte, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu priorisieren und umzusetzen. Nach der Recherche zu möglichen Rahmenwerken kristallisierte sich EcoProfit als geeignete Lösung heraus. Dieses System bietet Organisationen einen strukturierten Weg, um umweltfreundlicher zu werden, indem es Anleitung zur Umsetzung nachhaltiger Praktiken bietet und gleichzeitig die betriebliche Effizienz berücksichtigt. Durch die Einführung von EcoProfit strebt Ensemble Modern an, eine klare Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, die ihre künstlerischen und betrieblichen Aktivitäten mit ökologischer Verantwortung in Einklang bringt.

EcoProfit-Programm 

Das EcoProfit-Programm wird vor allem in kommunalen Projekten eingesetzt und zielt darauf ab, ökologische und wirtschaftliche Vorteile für teilnehmende Organisationen zu kombinieren. In Frankfurt wurde die Initiative vom Energieamt der Stadt Frankfurt in Zusammenarbeit mit der Agentur ARCOM betreut. Nach der Kontaktaufnahme mit der Stadt im Oktober 2021 erfuhr das Ensemble Modern, dass der nächste Kurs im April 2022 beginnen sollte. Aufgrund der Notwendigkeit einer ausreichenden Teilnehmerzahl wurde das Programm letztlich im September 2022 mit einer Kohorte von zwölf verschiedenen Unternehmen gestartet.

Die teilnehmenden Organisationen waren in Größe und Branche sehr unterschiedlich. Unter ihnen waren ein Immobilienunternehmen mit nur sechs Mitarbeiter*innen, ein Rentenversicherungsträger mit über 500 Mitarbeiter*innen, eine Kirchengemeinde und ein Betreiber eines öffentlichen Schwimmbads. Der einzige Teilnehmer aus dem Kultursektor war der Beck Verlag, der rund 80 Mitarbeiter*innen beschäftigt.

Das Programm dauerte ein Jahr und umfasste: 

  • Acht gemeinsame Workshops zu Themen wie Energie, Strom und Heizung, Abfallmanagement, gefährliche Stoffe, Wasserverbrauch, erneuerbare Energien, nachhaltige Managementsysteme, Mobilität und Beschaffung.
  • Mehrere individuelle Beratungen, die von ARCOM durchgeführt wurden und auf die spezifischen Bedürfnisse jedes Unternehmens zugeschnitten waren.
  • Externe Referent*innen, die zu jedem Workshop eingeladen wurden, die in verschiedenen teilnehmenden Institutionen stattfanden und Besichtigungen vor Ort beinhalteten.
  • Praktische Aufgaben, bei denen die Teilnehmer*innen ihren Energieverbrauch, Heizung, Belüftung, IT-Systeme, Abfalltrennung und Sanitäranlagen analysieren und optimieren mussten.

Schwerpunkte und Herausforderungen

EcoProfit konzentriert sich hauptsächlich auf Scope 1- und Scope 2-Emissionen, also direkte und indirekte Emissionen, die Organisationen aktiv beeinflussen können. Dazu gehören: 

  • Strom- und Heizungsverbrauch
  • Kraftstoffverbrauch von firmeneigenen Fahrzeugen

Obwohl einige Themen eher für größere Unternehmen relevant waren, profitierten alle Teilnehmer*innen von Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und Ressourcennutzung. Obwohl das Ensemble Modern keine industrielle Produktion betreibt, waren Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Bereich Beleuchtung, Heizung, Belüftung, IT-Infrastruktur und Abfallentsorgung zentrale Themen.
Durch die Teilnahme an EcoProfit erhielt Ensemble Modern eine strukturierte Anleitung zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die ihren Betrieb mit ökologischer Verantwortung in Einklang brachten und gleichzeitig die Ressourcennutzung optimierten.

Daten und Zusammenarbeit

Ein besonders zeitaufwändiger Aspekt der Teilnahme an EcoProfit war die Datenerhebung. Während einige Informationen leicht verfügbar waren, erforderten andere Datenpunkte umfangreiche Recherchen. Um diesen Prozess zu unterstützen, wurden zwei bis drei individuelle Beratungsgespräche mit EcoProfit-Agenten angeboten, die bei der Untersuchung, Überprüfung und Dokumentation der notwendigen Daten halfen. Das Hauptziel dieses Prozesses war es, die gesammelten Daten zu nutzen, um Umwelt- und Wirtschaftseinsparungen beim Ensemble Modern zu identifizieren. Durch das Tracking dieser Zahlen über die Jahre kann die Organisation ihren Fortschritt in den Nachhaltigkeitsbemühungen überwachen.

Obwohl Johannes (der Fagottist) und Kathrin an den meisten Workshops teilnahmen, war die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen eine gemeinschaftliche Anstrengung. Ein kleines internes Team von vier Personen, darunter Büropersonal und Musiker*innen, wurde gebildet, um Nachhaltigkeitsinitiativen zu besprechen, zu priorisieren und zu entscheiden.

Herausforderungen und Ausblick

Eine bedeutende Herausforderung des EcoProfit-Programms war der starke Fokus auf bauliche Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Das Ensemble Modern besitzt das Gebäude, in dem seine Büros und Proberäume untergebracht sind, nicht. Das Ensemble teilt die Räumlichkeiten mit drei anderen Institutionen, was es schwierig macht, bestimmte bauliche oder energetische Verbesserungen unabhängig umzusetzen. Da sie weder die Eigentümer noch direkte Mieter des Gebäudes sind, ist ihre Fähigkeit, Nachhaltigkeitsänderungen durchzusetzen, begrenzt. Trotz dieser Herausforderungen setzt das Ensemble Modern weiterhin praktische, organisationsspezifische Nachhaltigkeitsmaßnahmen um und nutzt das EcoProfit-System innerhalb ihrer betrieblichen Rahmenbedingungen optimal.

Ergebnisse und weitere Schritte

Ensemble Modern legte beim Abschluss des EcoProfit-Programms eine umfassende Abschlussdokumentation vor. Der Prozess endete mit einer einstündigen Online-Prüfung durch eine Zertifizierungskommission, bei der das Ensemble die bereits umgesetzten Nachhaltigkeitsmaßnahmen sowie zukünftige Pläne darlegte, wie:

  • Bevorzugung von umweltzertifizierten Büromaterialien und Elektronik wie dem Blauen Engel und Energy Star
  • Verwendung von zertifiziert nachhaltigem Papier für Büro-Drucker und gedruckte Medien
  • Bevorzugung von refurbished elektronischen Geräten
  • Implementierung einer neuen Reisepolitik, die Mitarbeiter:innen dazu verpflichtet, Zugreisen für Fahrten unter acht Stunden statt Flüge zu nutzen
  • Einführung eines gefilterten Trinkwassersystems zur Reduzierung von Plastikmüll

Um die Nachhaltigkeitsbemühungen fortzusetzen, gründete das Ensemble Modern ein Klimagremium, das regelmäßig Nachhaltigkeitsinformationen für Mitarbeiter*innen und Besucher*innen aktualisiert. Langfristig entwickelte das Ensemble auch eine Umwelt-Richtlinie, die jetzt öffentlich auf ihrer Website zugänglich ist.

Nach einem Jahr intensiver Arbeit erhielt das Ensemble Modern das EcoProfit-Zertifikat, das einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit markiert. Diese Zertifizierung bietet eine Grundlage für zukünftige Verbesserungen in der Energieeffizienz, der Abfallreduzierung und einem ökologischen Betrieb.

Obwohl der EcoProfit-Prozess eine zusätzliche Arbeitsbelastung mit sich brachte, empfand das Ensemble das Programm als sehr lohnend. Es half ihnen, eine strukturierte Herangehensweise zu entwickeln und ihre Fortschritte besser zu planen und nachzuverfolgen. Ein wichtiges Ergebnis des Prozesses war die Erkenntnis, wie wichtig es ist, den Anfangszustand der Organisation zu dokumentieren, um Verbesserungen im Laufe der Zeit effektiv messen zu können.

Ensemble Modern betrachtet ihre Nachhaltigkeitsreise als einen fortlaufenden Prozess und wird weiterhin nach Möglichkeiten suchen, ihre Umweltleistung zu verbessern und andere im Kulturbereich zu inspirieren, es ihnen gleichzutun.

 

ENSEMBLE RESONANZ

Maike von Bredow (Assistenz der Geschäftsführung und Nachhaltigkeitskoordination) und Thore Strothmann (Kaufmännische Leitung) des Ensemble Resonanz in Hamburg gaben Einblicke in die Struktur und Nachhaltigkeitsinitiativen des Ensembles.

Das Ensemble Resonanz ist ein in Hamburg ansässiges Streichorchester, das sich durch seine unabhängige Struktur auszeichnet. Im Gegensatz zu staatlich geförderten Orchestern erhält das Ensemble nur begrenzte staatliche Unterstützung, was mehr Flexibilität bei organisatorischen und programmatischen Entscheidungen ermöglicht. Seit mehreren Jahren ist das Ensemble in der Elbphilharmonie Hamburg ansässig und hat auch einen eigenen Club gegründet: den Resonanzraum. Dieser befindet sich in einem Bunker nahe der Reeperbahn und dient nicht nur als Probenraum, sondern auch als Veranstaltungsort für eigene Konzertreihen.

CO₂-Bilanzierung und Nachhaltigkeitsziele

Ein Schwerpunkt der Präsentation war die erstmalige Berechnung des CO₂-Fußabdrucks des Ensembles in diesem Jahr. Diese Berechnung umfasste nicht nur den Energieverbrauch für Proben und Tourneen, sondern auch den Betrieb des eigenen Clubs, einschließlich der technischen Infrastruktur (Beleuchtung und Soundsysteme). Da die Musiker*innen selbst Eigentümer des Ensembles sind, besteht eine starke intrinsische Motivation, nachhaltige Lösungen zu finden. Ein Beispiel hierfür ist die bewusste Entscheidung, innerhalb Europas so oft wie möglich mit dem Zug zu reisen, trotz längerer Reisezeiten und höherer Kosten. So wird beispielsweise die Strecke Hamburg-Wien per Nachtzug zurückgelegt.

Das Ziel der CO₂-Berechnung ist es, genaue Daten zu den Emissionen zu sammeln, um gezielte Reduktionsmaßnahmen umzusetzen.

Nachhaltigkeit als Chance für neue Partnerschaften

Zusätzlich hofft das Ensemble, dass die Nachhaltigkeitsbemühungen neue Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen. Hamburg gilt als »Stiftungskapital« mit zahlreichen Förderinstitutionen, die zunehmend nachhaltige Projekte unterstützen. Das Ensemble Resonanz genießt bereits einen hohen Ruf in der Hamburger Kunst- und Kulturszene. Durch Nachhaltigkeitsinitiativen könnte dieser Ruf weiter gestärkt werden, was zu neuen Partnerschaften mit Stiftungen und Sponsoren führen könnte.

Publikumsengagement und Kommunikation

Auch das Engagement des Publikums spielt eine entscheidende Rolle: Viele der Abonnent*innen des Ensembles kommen aus juristischen Berufen und haben ein großes Interesse an Nachhaltigkeitsthemen. Daher untersucht das Ensemble Möglichkeiten, wie Nachhaltigkeitsstrategien in die Kommunikation mit dem Publikum integriert werden können.

Fonds Zero: Unterstützung für klimaneutrale Produktionen

Seit dem 24. September 2023 ist Ensemble Resonanz Teil des Fonds Zero, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, die Kulturinstitutionen dabei unterstützt, klimaneutrale Produktionsmethoden zu entwickeln. Diese Förderung ist projektgebunden, was bedeutet, dass sechs der Urban String-Konzerte des Ensembles finanzielle Unterstützung erhalten. Diese Konzerte finden in einer Club-ähnlichen Atmosphäre im Resonanzraum statt. Im Rahmen des Fonds Zero wird das Ensemble ein Konzept für klimaneutrale Urban String-Konzerte entwickeln, wobei der Fokus auf Themen wie Klimawandel und Umweltschutz liegt.

Darüber hinaus gewährt die Teilnahme Zugang zur Zero Academy, die Workshops, regionale Networking-Events und Unterstützung durch ARCOM bietet – die gleiche Agentur, die das Ensemble Modern bei der Berechnung des CO₂-Fußabdrucks unterstützt hat. 

Berechnung des CO₂-Fußabdrucks

Die Teilnahme am Fonds Zero bringt jedoch auch Verpflichtungen mit sich: Das Ensemble muss sowohl den Unternehmens-CO₂-Fußabdruck (der die gesamten Emissionen des Unternehmens für das Jahr 2023 umfasst) als auch die Produkt-CO₂-Fußabdrücke für die sechs geförderten Konzerte berechnen. Am Ende des zwei Jahre laufenden Zero-Projekts wird das Ensemble sieben Fußabdruckberechnungen abgeschlossen haben.

Zur Erstellung von Null-Emissionen-Konzepten ist es notwendig, die Emissionen zu verstehen und zu messen. Die Berechnung folgt dem international anerkannten Rahmenwerk für Scope 1, Scope 2 und Scope 3-Emissionen: 

  • Scope 1: Direkte Emissionen durch Brennstoffverbrennungsprozesse an stationären und mobilen Anlagen vor Ort (Heizwerke, Automobile, physikalische oder chemische Prozesse, Lecks und Diffusionen von Kältemitteln aus Kühlsystemen, etc.)
  • Scope 2: Indirekte Emissionen durch Energie aus dem Netz (Produktion und Transport von Strom und Heizungs-Emissionen)
  • Scope 3: Alle anderen indirekten Emissionen

Jede Fußabdruckberechnung erfordert, dass Grenzen gezogen werden, was gemessen wird. Mit der Hilfe von ARCOM identifiziert das Ensemble Resonanz die wichtigsten CO₂-Treiber, indem es die Verfügbarkeit von Daten, die Emissionsauswirkungen und den Grad der Kontrolle, den die Organisation über jeden Faktor hat, berücksichtigt.

Schlüsselbereiche des CO₂-Fußabdrucks

Einige Schlüsselfaktoren, die in die Berechnung einfließen: 

  • Publikumsmobilität: Gemessen für Konzerte im Resonanzraum und der Elbphilharmonie, bei denen das Ensemble regelmäßig auftritt. Reisen des Publikums zu einmaligen Veranstaltungsorten werden aufgrund fehlender Daten und Kontrolle ausgeschlossen.
  • CD- und Vinylproduktion: Auch wenn dies einen geringen Beitrag zu den Emissionen leistet, wird es berücksichtigt, da das Ensemble diese Aspekte vollständig kontrolliert.
  • Abwasser: Eingeschlossen, während allgemeiner Abfall aufgrund der Kontrolle durch das Venue-Management ausgeschlossen ist.

Hauptherausforderungen und langfristige Ziele

Die erste Analyse zeigt zwei Hauptfaktoren, die erheblich zum CO₂-Fußabdruck des Ensembles beitragen:

  1. Energiequellen: Das Ensemble hat derzeit keinen Anbieter für erneuerbare Energien, was ein leicht zu adressierendes Problem mit erheblichen Auswirkungen ist.
  2. Mobilität (Touring und Publikumsverkehr): Wie zu erwarten, bleibt Reisen der wichtigste Faktor, sowohl für Musiker*innen als auch für das Publikum. Trotz der Bemühungen, Reisen mit dem Zug zu priorisieren, gibt es noch Einschränkungen, die die vollständige Klimaneutralität zu einer langfristigen Herausforderung machen.

Wie viele Kulturinstitutionen steht Ensemble Resonanz vor der komplexen Aufgabe, Nachhaltigkeit mit praktischen Einschränkungen in Einklang zu bringen. Die Organisation wird ihren Ansatz weiterhin verfeinern und möglicherweise Scope-3-Faktoren im Laufe der Zeit ausweiten. Das Erreichen echter Klimaneutralität ist ein fortlaufender Prozess, aber durch die Teilnahme am Zero-Fonds unternimmt das Ensemble bedeutende Schritte in Richtung nachhaltigerer Betriebsabläufe.