25 Jahre Labor Sonor

»Leise Musik öffnet manchmal den Raum«

30 April, 2025 | Lisa Benjes, Fernanda Farah, Christian Kesten, Andrea Neumann, Derek Shirley

test

25 Jahre Labor Sonor. Ein Grund zum Feiern, könnte man meinen. Doch ohne Förderung kein Geburtstag. Dass die Reihe ausgerechnet im Jubiläumsjahr nicht stattfinden kann, ist nicht nur ein Verlust für die beteiligten Künstler*innen, sondern für die ganze Stadt – und ein Armutszeugnis für ihre derzeitige Kulturförderung. Ein Blick zurück auf ein Vierteljahrhundert Echtzeitmusik in Berlin.


Das Labor Sonor entstand in einer Phase des Umbruchs: Die rauschenden Jahre der Nachwendezeit, in denen die Echtzeitmusikszene ihre Anfänge nahm, fanden ein jähes Ende, als ihre wichtigsten Spielstätten wie Anorak oder der 2:13 Club der ersten Gentrifizierungswelle in ehemaligen Ostteil Berlins zum Opfer fielen. Im Sommer 2000 veranstalteten Gregor Hotz, Andrea Neumann und Steffi Weismann die ersten Konzerte unter dem Namen Labor Sonor in der KuLe. Die Reihe wurde schnell zum neuen Treffpunkt der Szene, der sie bis heute geblieben ist. Hier sollte ein Freiraum für neue experimentelle Musikformen abseits etablierter Institutionen entstehen. Von Anfang an standen neben der Musik auch Performances und Videokunst auf dem Programm. Wer einmal das Labor Sonor besucht hat, weiß, dass es hier nie allein um die bloße Darbietung geht, sondern auch um das Aufeinandertreffen von Künstler*innen, Publikum und Freund*innen. So feuchtfröhlich, wie es über die Abende der Anfangsjahre erzählt wird, mag es heute nicht mehr zugehen, doch die Bar bleibt nach wie vor ein zentraler Raum des Geschehens. Neben der Musik spielen künstlerische Forschung, Diskursbildung und Dokumentation rund um die Szene eine zentrale Rolle. Labor Sonor trug wesentlich dazu bei, dass sich Begriffe wie Echtzeitmusik und Berliner Reduktionismus als prägende Strömungen entwickelten und sich die Szene international öffnete. Mittlerweile wird Labor Sonor von Andrea Neumann, Arthur Rother, Christian Kesten, Fernanda Farah und Derek Shirley kuratiert und weiterentwickelt. Für field notes haben einige von ihnen Anekdoten aus den letzten 25 Jahre zusammengetragen:

 

 

Die Tradition

Es wurde viel über die Auflösung traditioneller Konzertformate gesprochen. Wie man sie aus Veranstalter*innenperspektive erlebt, ist manchmal anders: Auf der Bühne sitzen sich Taku Unami und Mattin einander gegenüber. Ein Tisch zwischen ihnen. Nach einigen Aktivitäten – Wurde ein Text gesprochen? – richtet sich plötzlich ein heller Strahler ins Publikum. Dann passiert nichts mehr. Sie sitzen einander gegenüber, ruhig, nicht eingefroren, aber bewegungslos. Ist das die Ruhe vor der nächsten Attacke? Oder die Coda?

Das Publikum in der KuLe ist einiges gewohnt. Minuten verstreichen, nichts passiert. Nach zehn Minuten verlassen einige Zuschauer*innen den Raum, nach 20 Minuten weitere. Im Konzertraum hören wir die Leute draußen an der Bar sprechen. Ist das ok? Stört es? Sollen wir es unterbinden? Nach 30 Minuten verlassen weitere den Raum. Nach einer Stunde ist der Konzertraum fast leer. Die beiden sitzen weiterhin ungerührt an ihren Plätzen. Es wird spät. Geht das jetzt so weiter bis morgen früh? Sollen wir es beenden? Sollen wir einfach anfangen aufzuräumen? Ich erinnere mich sehr gut an den Moment, in dem wir entschieden haben, hinten im Raum zu fegen. Waren wir jetzt Teil des Establishments, das eine radikal-konzeptionelle Performance auflöst? Ist mir mein Schlaf auf einmal wichtiger als die Kunst? Ist das nicht doch einfach nur eine Provokation, die auf irgendeine Art von Reaktion aus ist? Haben wir Labor Sonor nicht genau für solche Performances ins Leben gerufen?

- Andrea Neumann

 


Der Tabubruch

Im Labor tritt eine Sängerin mit ihren selbst komponierten Songs auf. Alles ist harmonisch, schön, ausdrucksvoll, persönlich. Ich warte auf ein Zeichen, dass dies nur die Fassade ist, hinter der sich ganz andere Dinge zeigen – eine Bruchstelle, ein Glitch, eine Ironie, eine Übersteigerung. Nichts davon geschieht. Wird hier wirklich überhaupt nichts infrage gestellt? Ich kann es nicht glauben. Vor mir sitzt ein Zuhörer. Er zuckt. Der Kopf, die Schultern, der gesamte Rumpf zuckt. Ich frage mich, was mit ihm los ist. Irgendwann wird mir klar: Er unterdrückt ein Lachen. Diese Musik ist für ihn so unglaublich, dass sie einen Lachanfall auslöst. Ich glaube, dass Lachen im Konzert ein Zeichen dafür ist, dass ein Tabu berührt wird. Die Sängerin hat mit ihren ungebrochenen Songs im Labor Sonor keine Grenze überschritten – und gerade damit ein Tabu berührt.

- Andrea Neumann

 


Die S-Bahn

Leise Musik öffnet manchmal den Raum, und Geräusche und Klänge von außerhalb durchdringen sich mit den gespielten Klängen im Konzertraum. Eine Koinzidenz, auf die manche schon warten, ist die S-Bahn, die unweit der KuLe unter uns vorbeifährt. Es ist mehr eine Vibration als wirklich hörbar. Derek Shirley machte ein Stück dazu: Er entwickelte ein sensibles Set-up, das die Bassfrequenzen verstärkte und subtil in den Raum zurückspielte.

Sein Set begann und wir warteten. Die eine Hälfte, die wusste, worum es ging, wartete auf die S-Bahn. Die andere fühlte sich provoziert und fing an zu lachen und dazwischenzurufen. Auf einem Lautstärkepegel, der die vorbeifahrende S-Bahn übertönen würde. Wir drohten, sie zu verpassen, das Unterfangen drohte zu scheitern. Jemand rief »Behave«, was alles nur eskalieren ließ. Derek spielte das Stück im Jahr danach nochmal. Die Versuchsanordnung ist sehr sensibel und verändert sich mit dem Publikum, das den Raum füllt, selbst wenn es still zuhört. Es gab nur wenige Stellen im Raum, in dem es funktionierte: an dem Platz, auf dem Hilary Jeffery saß, entstanden stehende Wellen. Er war völlig begeistert. Wahrscheinlich war das Stück nur für ihn.

- Christian Kesten

 

 

Das Klischee

Im Labor ist das Knitting Orchestra (Natascha Sadr Haghighian und Freund*innen) zu Gast. Menschen in bunten T-Shirts und mit den verrücktesten Haaren, zu einer Zeit, als verrückte Haare nicht gleich verrückte Haare waren. Das Knitting Orchestra sitzt mit der Energie von jemandem, der gerade die Welt erfunden hat, teils um einen Tisch herum, teils darauf – und strickt. Die Szene ist sowohl akustisch (die Nadeln und das Lächeln, das Gemurmel) als auch visuell. Das Klischeebild der Damen im Ruhestand wird durchbrochen und steht gleichzeitig im Einklang mit der Szene. Eine Vielzahl von Bedeutungen, Tradition, Bruch, Austausch, Lachen.

- Fernanda Farah

 


Die Plastiktüte

Ich bin 2001 nach Berlin gezogen, auf der Suche nach dem, was sich später als die Echtzeitmusik-Szene herausstellte. Ziemlich früh besuchte ich mein erstes Labor Sonor Konzert: Drei kurze Sets mit experimentellen Medien. Cool. Die eine Performance hieß »Die Plastiktüte ist kein Spielzeug«. Ein Mann auf der Bühne. Brille. Schnauzbart. Beinahe militärischer Stil. Auf jeden Fall sehr formell. Er bewegte sich konzentriert und zielstrebig auf der Bühne und bearbeitete Plastiktüten. Am eindrücklichsten erinnere ich mich daran, wie der Performer mit dem Gesicht zur Wand in einer Ecke stand, die Arme ausstreckte und Plastiktüten windmühlenartig schwang. Trotz des Theatralen handelte es sich um ein sehr klangbasiertes Stück. Da ich vorher keinen Kontakt mit dem hatte, was wir als Performance-Kunst bezeichnen würden, warvich völlig geflasht. Das ist es, was ich an Labor Sonor so schätze: Die Leute kommen vielleicht nur wegen eines bestimmten Sets und geraten dann mit etwas in Kontakt, von dem sie keine Ahnung hatten, dass es das überhaupt gibt.

- Derek Shirley

  • Feature
  • field notes 42

For further reading

Cover der Ausgabe #42

field notes Magazin #42: Mai–August 2025

In dieser Ausgabe porträtieren wir das Splitter Orchester und gratulieren Labor Sonor zum 25-jährigen Bestehen. Außerdem sprachen wir mit LUX:NM, Rebecca Saunders und Enno Poppe – und planen Ausflüge nach Brandenburg.

Gruppenbild

Feature | Das Splitter Orchester im Portrait

Seit 15 Jahren improvisiert das Berliner Splitter Orchester im Großverband. Wir haben das Orchester bei einer Probe besucht und die Mitglieder Burkhard Beins und Emilio Gordoa zum Gespräch getroffen.

wakaba kimura mit einer Taucherbrille

Opposite Editorial | Wakaba Kimura #41

Wakaba Kimura ist Ko-Kuratorin der Konzertreihe biegungen im ausland. Doch die Reihe muss derzeit pausieren.