»Andere tanzen, ich zeichne«

Rolf Schröter zeichnet Figuren und Momente der Berliner Echtzeitsmusik

28 February, 2025 | Lisa Nolte

Eine Zeichnung von Supermolly
©Rolf Schröter

Wer oft in der Berliner Echtzeitsmusikszene unterwegs ist, trifft früher oder später auf Rolf Schröter. Mit seinen Tuschezeichnungen fängt er ihre Figuren und Momente ein. Unsere Redakteurin Lisa Nolte hat ihm dabei einen Abend über die Schulter geschaut.

Es ist dunkel und kalt draußen, als sich an einem Abend Anfang Januar das RCHTN25 zu seinem ersten Konzert im Jahr füllt. Überall fröhliches Plaudern, Gläserklirren an der Bar, wo es geht, werden Stühle in die letzten leeren Ecken gebastelt. Scheinbar ungerührt von dem Gewusel sitzt in der ersten Reihe Rolf Schröter. Auf seinem Schoß liegt ein Holzbrett mit Zeichenblock, darauf schwarze Tusche und ein Tuch zum Tupfen. In der Hand hält er einen Pinsel, mit dem er immer wieder testweise über die Fläche streicht. Er ist hier häufig anzutreffen, oft auch im Petersburg Art Space und früher bei den Au Topsi Pohl-Konzerten, als es die noch gab.

Das erste Set beginnt. Der Musiker Alexander Markvart begibt sich hinter sein Instrument: einen Aufbau aus Hocker und Amp. Darauf liegt eine Gitarre, die er nun mit verschiedenen Gegenständen zu bearbeiten beginnt. Es rauscht. Auf Rolf Schröters Block beginnt sich ein Gesicht abzuzeichnen, dann ein Rumpf und eine Gitarre. Die räumliche Aufteilung auf dem Bild überlege er sich vorab. »Alles andere entsteht mit der Musik«, so Schröter. Diese Spontaneität sei ihm wichtig, darum zeichne er am liebsten in Konzerten mit Freier Improvisation. »Ich bin 2000 nach Berlin gekommen und lange nur in die bekannteren Jazz-Clubs gegangen. 2021 bin ich dann auf die Improvisationsszene gestoßen – das war für mich eine echte Entdeckung.«

Seither findet sich fast wöchentlich eine neue Zeichnung auf seinem Blog in der Serie »from music«. Die Wahl der Arbeitsmaterialien kommt nicht von ungefähr. Pinsel und Tusche erlauben es ihm, mit Strich- und Druckstärke alles von dichten Flächen bis zu durchscheinenden Linien aufs Papier zu bringen und spontan auf das Bühnengeschehen zu reagieren. Dabei gehe es ihm nicht um ein Abbilden der Musik. »Es kann schon mal vorkommen, dass es zum Beispiel repetitive Klänge gibt, die sich dann im Bild als Punkte auf einer Lautsprechermembran wiederfinden. Aber das ist dann eher Zufall. Oder wenn mehrere Musiker*innen spielen, dann sitzen die auf dem Blatt nicht alle im korrekten Abstand zueinander, dann rücke ich sie zusammen.« Dieses Ineinandergreifen von Körpern, das Sich-Überlagern durchlässiger Ebenen verleiht den Zeichnungen Lebendigkeit. Scrollt man durch Rolf Schröters Blog, scheint immer alles in Bewegung zu sein, und oft entsteht der Eindruck, dass ein ganzer Abend wie im Zeitraffer aufs Bild gebannt wurde.

Markvart hat Sticks zur Hand genommen. Perkussive Geräusche mischen sich in das Rauschen, werden schneller, lauter. Ein Arm wächst aus dem Rumpf auf Rolf Schröters Blatt, dann noch einer und noch einer. Braucht es eine bestimmte innere Einstellung, um sich auf das Zeichnen solcher Momente einlassen zu können? Schröter schmunzelt: »Ich bin den ganzen Tag schon darauf eingestellt. Ich arbeite als Zeichner in einem Handwerksbetrieb. Dort natürlich am Computer.« Eigentlich macht es aber den Eindruck, als würde er ohnehin zeichnen, wo immer er gerade ist. Von Reisen sind auf seinem Blog Bilder zu finden und Serien aus verschiedenen Berliner Kiezen. Über die Kantstraße bei Nacht und Reisende am ZOB hat er ganze Bildbände veröffentlicht. Seine Konzertzeichnungen waren 2023 im Petersburg Art Space in der Einzelausstellung »drawn from music« zu sehen. In einem Konzert zur Ausstellung haben die Musiker*innen dann ausnahmsweise mal zu seiner Kunst improvisiert und nicht umgekehrt. Ein Bildband wäre natürlich auch schön, aber das mit den Druckkosten sei immer so eine Sache. Auf dem Instrumententurm vorne liegt mittlerweile eine große Metallschale. Das Rauschen schwillt langsam aber sicher zu einem ohrenbetäubenden Feedback an. Markvart lässt es abklingen, schaut dann etwas ratlos auf den Tisch rechts neben ihm, wo ein Sammelsurium an Objekten bereitliegt. Er schnappt sich einige davon und legt nochmal los. Rolf Schröter beginnt, die Lautsprecher zu zeichnen, den Tisch mit den Objekten, die Sticks, die jetzt auf dem Boden liegen. So richtig in Fahrt kommen will die Musik irgendwie nicht mehr, und nach ein paar Minuten legt Markvart die Objekte zur Seite. Er schaut lächelnd ins Publikum. Es wird geklatscht. Zwei Sets folgen noch an diesem Abend.

Auf die Frage, warum er mit dem Zeichnen in Konzerten begonnen habe, zuckt Rolf Schröter die Achseln. »Irgendwas muss man ja machen, wenn man Musik hört. Andere tanzen, ich zeichne eben.«

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