Der Klang, der Raum und die Menschen darin

Die Musikerin und Regisseurin Ulrike Ruf im Portrait

19 September, 2025 | Franziska Busse

Die Musikerin Ulrike Ruf steht mit einem Aufnahmegerät vor der Motorhaube eines großen Lastwagens
©Nicolas Wiese

Ulrike Ruf ist engagierte Impulsgeberin der zeitgenössischen Musiktheaterszene in Berlin – als Regisseurin, Cellistin und in der politischen Arbeit für ihre Freien Akteur*innen. Im Monat der zeitgenössischen Musik ist sie dieses Jahr gleich mehrfach vertreten – unter anderem in ihrer eigenen Konzertreihe »Friday Evening Improvisation at Cemetary Chapels«.

Ulrike Ruf bewegt sich als Musikerin und Regisseurin in ihrer Arbeit zwischen den Rollen der Ideengeberin und der Ausführenden. Ihre konzeptionelle Arbeit versteht sie als Möglichkeit, musikalische, räumliche und gesellschaftliche Fragestellungen zu verknüpfen und Formate zu schaffen, in denen Musik, Raum und Publikum in einen offenen Dialog treten. »Am Ende geht es mir immer darum, was für Möglichkeiten ich für mein Publikum schaffen kann, sich im Gezeigten, im Erzählten selbst wiederzufinden.«

Nach ihrem Violoncellostudium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler spielte Ulrike Ruf unter anderem beim Konzerthausorchester Berlin und trat an der Volksbühne in Produktionen des Choreografischen Theaters von Johann Kresnik auf. Heute entwickelt sie eigene Stücke an der Schnittstelle von Musik, Theater und Performance. Als Gründungsmitglied und zeitweiliger Teil des Vorstands des ZMB – Zeitgenössisches Musiktheater Berlin e. V. engagiert sich die gebürtige Berlinerin für die Interessen des Freien Musiktheaters auf regionaler Ebene innerhalb der Szene. Sowohl als Vereinsmitglied wie auch als Musikerin pflegt sie aber auch den Austausch mit internationalen Partner*innen. Ihr Schaffen als Cellistin verbindet Musik, Geräusch, Raum und Inszenierung. Diese Vielstimmigkeit prägt auch ihre Regiearbeit: Sie entwickelt Konzepte, in denen die Musiker*innen als aktive Gestaltende eines erzählerischen Raums eingebunden sind.

Seit 2024 leitet Ulrike Ruf als Kuratorin gemeinsam mit der Cellistin Zeynep Ayşe Hatıpoğlu die Konzertreihe Friday Evening Improvisation at Cemetery Chapels, die auch Teil des Monats der zeitgenössischen Musik 2025 ist. Die beteiligten Berliner Friedhofskapellen öffnen ihre Türen bei den Veranstaltnugen erstmals auch für Echtzeitmusik – ein Genre, das laut Ruf wie kaum ein anderes den Moment und seine Vergänglichkeit zelebriert. In den Konzerten der Reihe verschränken sich improvisatorische Praxis, klangliche Offenheit und räumliche Kontexte zu einem Erlebnis von Endlichkeit. Die Auswahl der Orte ist somit nicht nur ein programmatischer Schritt, sondern auch ein künstlerisches Statement. Sie überträgt die temporäre, kollektive Erfahrung einer Trauerfeier auf das Konzerterleben: »Eigentlich spielen in allen meinen Arbeiten die unmittelbare Publikumssituation und das Erleben der eigenen Wahrnehmungsprozesse in der Auseinandersetzung mit Kunst eine zentrale Rolle«, erklärt Ruf. Inspiriert von Peter Ablingers Begriff des »Hören Hörens« versucht sie, Kontexte zu schaffen, in denen sich Zuhörende ihrer aktiven Rolle im Aufführungsgeschehen bewusst werden. Diese Haltung wird besonders in der Gestaltung der Konzerte deutlich: So begann ein Abend der Friday Evening Improvisation at Cemetery Chapels mit dem Ensemble Animal Nacht als Soundwalk durch das Friedhofsgelände. Die Stadtgeräusche und ersten Klänge des Ensembles verwoben sich allmählich mit der Umgebung, während sich das Publikum zur Kapelle bewegte. Die Türen liess man offen – für Musiker*innen, Zuhörende und für den Raum selbst, der so durchlässig blieb für Klang, Bewegung und Atmosphäre.

Improvisation wird bei den Konzerten der Reihe zur Erzählung des Raumes – nicht nur durch das Spiel, sondern durch die von den Kuratorinnen gesetzte Dramaturgie der Übergänge, in der der Ort selbst zum Erzähler wird: Seine Akustik, seine Architektur, seine Geschichte und Stille prägen den Verlauf und die Wahrnehmung der Musik. »Für mich geht ein Konzert weit über die instrumentale Praxis hinaus. Die Aufführungssituation als Ganze interessiert mich. Deswegen empfinde ich meine konzeptionelle Arbeit und das Inszenieren auch nur als Erweiterungsmöglichkeit einer Form«, erläutert Ruf.

Auch in der Produktion »Aus dem Maschinenraum« von 2022, die im Monat der zeitgenössischen Musik 2025 wiederaufgenommen wird, verschränkt Ruf musikalisches Material mit inszeniertem Raum. In der immersiven Konzertinstallation setzt sie sich mit den Qualitäten von Maschinen und menschlicher Intervention auseinander. »›Aus dem Maschinenraum‹ ist ein vielleicht etwas ironisch gemeinter Abgesang auf den Verbrennungsmotor«, erklärt Ruf. Als Teil unserer akustischen Kulturgeschichte seien ihre Fieldrecordings von Motorengeräuschen eine klangliche Hommage an eine Technologie im Abschied. Dabei geht es nicht um nostalgische Verklärung, sondern um eine kritische Reflexion. Die verschwindenden Klänge der Motoren stehen einerseits für persönliche Erinnerungen, andererseits für Emissionen, Lärmbelastung und Umweltzerstörung. Das Finale der Konzertinstallation, in dem sich Natur- und Maschinensounds überlagern, eröffnet einen doppeldeutigen Ausblick: Was man dort hört, ist das Quaken von Fröschen – das verblüffend an knatternde Motoren erinnert. Ein akustisches Paradox, das den romantisierten Naturbegriff infrage stellt und zugleich die Ambivalenz menschlicher Hoffnungen auf eine Rettung durch Natur offenlegt. Und so verbindet Ruf mit der Produktion auch eine ganz konkrete Absicht, die über den Konzertsaal hinausweist: »Die Idee, die Verbrennermotorengeräusche als Vanishing Sounds zu sammeln, sie musikalisch ›zu würdigen‹, soll beim Loslassen von einer Technologie helfen und dem immer wieder torpedierten EU-Beschluss zum Verbrenner-Aus zum Erfolg verhelfen.«

Über die Autorin

Franziska Busse hat 2024 an der Schreibwerkstatt von field notes, KlangZeitOrt und Positionen teilgenommen und ist in diesem Jahr Mitglied der Nachwuchsredaktion des Monats der zeitgenössischen Musik. Busse, geboren in Berlin, studiert im Master Musik, Sound, Performance an der Freien Universität Berlin. Als Mitglied des Jugendchors der Staatsoper Unter den Linden nahm die Mezzosopranistin studienbegleitend an szenischen Projekten teil und legte während ihres Bachelors in Musikwissenschaft und Kunstgeschichte (HU Berlin) ihren Schwerpunkt auf Neues Musiktheater und Dramaturgie.

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