Samstagabend, mitten im Herzen Kreuzbergs. Zwischen Betonspielplatz, Spätkauf und Bar erhebt sich die temporäre Bühne des Kotti-Shops – eines Ortes für experimentelle Kunstformate in Berlin. Das Publikum hat sich versammelt, einige nehmen Platz, andere bleiben in der Nähe der Bar stehen. Trotz – oder gerade wegen – des urbanen Trubels wirkt die Stimmung gesammelt, gespannt, offen. Der Blick richtet sich auf die gläserne Front des Ladens.
Es ist die letzte Vorstellung des dreiteiligen Jubiläumsprogramms von Sentimental Punk, das über den Sommer hinweg im Kotti‑Shop stattfand. In der Konzertreihe wurde seit Juli »A 10‑Year Anniversary in 3 Acts« gefeiert – mit historischem Filmmaterial und zeitgenössischen Live-Soundscapes, die auf das bewegte Bild reagieren. Die Filme stammen aus feministischen Archiven. Körper in Bewegung, Unschärfen, Super-8-Ästhetik, Wut, Zärtlichkeit und Widerstand durchziehen die Bilder.
Sentimental Punk ist eine nicht-kommerzielle Rechercheplattform mit besonderem Fokus auf feministische Perspektiven, die sich seit 2015 dem filmischen Werk aus queeren und Underground-Kontexten widmet. »Nach einiger Zeit fiel mir auf, dass in den Archiven und Quellen, auf die ich Zugriff hatte, fast ausschließlich männliche Namen auftauchten – keine Überraschung«, erklärt Kuratorin und Gründerin Dafne Narvaez Berlfein. »Daraufhin habe ich ab 2015 meinen Schwerpunkt gezielt auf strukturelle und avantgardistische Filmemacherinnen* gelegt.«
Was einst als informelles Forschungstreffen im Kotti-Shop begann, entwickelte sich während der Pandemie zu einem hybriden Format im öffentlichen Raum: Projektionen auf die Schaufensterfront des Ladens und improvisierte Live-Soundtracks im Innenraum machen das Archiv zugänglich und kollektiv erfahrbar. Kuratiert wird es von Narvaez Berlfein selbst in enger Zusammenarbeit mit einer internationalen Community von Künstler*innen und Kurator*innen, unter ihnen Lisa Simpson, Julia Brunner, Santiago Doljanin, Eugenia Seriakov, Christina Ertl-Shirley, Amirali Ghasemi, Julia Herfurth.
Das filmische Herzstück des Abends bildet eine Collage von Narvaez Berlfein aus frühen Werken der New Yorker Avantgarde-Ikone MM Serra, deren Arbeiten seit den 1980er Jahren radikale Körperlichkeit, feministische Subversion und strukturelles Experiment vereinen. Mary Magdalene aka MM Serra, die über drei Jahrzehnte als Executive Director der legendären Film-Makers' Cooperative tätig war – dem weltweit ältesten und größten Archiv für unabhängigen Film – zählt zu den prägenden Stimmen des experimentellen Underground-Kinos. Die Auswahl der Collage für die Jubiläumsveranstaltung am 11.10.25 entstand unter dem programmatischen Titel »Mary Magdalene, Art-Core« – einem Begriff, den Serra selbst in ihrer »9th Annual Experimental Lecture« definierte als »das Explizite im filmischen Körper […], das den abjektiven Körper in all seiner chaotischen, physischen Pracht erkundet – in seinem Vergnügen und seinem Schmerz« (»Millennium Film Journal No. 51«, 2009). »Art-Core« ist damit nicht nur Titel, sondern auch ästhetisches und politisches Manifest einer filmischen Praxis, die Verletzlichkeit und Lust gleichermaßen sichtbar macht. Die Projektion zeigt Nahaufnahmen weiblicher Körper – roh, intim, politisch – eine Hommage an das Begehren und an die Widerständigkeit weiblicher Perspektiven.