Ein Kaleidoskop zeitgenössischer Streichquartette

Aus der Konzertreihe »Somehow We Can«

24 October, 2025 | Filip Bayer-Čech

Solistenensemble Kaleidoskop
©Filip Bayer-Čech

Mit der Konzertreihe »Somehow We Can« widmet sich das Berliner Solistenensemble Kaleidoskop einer traditionsreichen und zugleich stets neu erfundenen Gattung: dem Streichquartett. Doch Traditionen müssen hin und wieder hinterfragt und mitunter gebrochen werden. So gilt das Anliegen des Ensembles nicht nur der Form, sondern auch dem musikalischen Kanon selbst, den es bewusst in Bewegung versetzen möchte. Filip Bayer-Čech war für field notes beim zweiten Konzert der Reihe, das am 12. Oktober im Rahmen des Monats der zeitgenössischen Musik stattfand.

Elf Streichquartette von BiPoC- und LGBTQ+-Komponist*innen, deren Musik im europäischen Repertoire bislang wenig vertreten war, sollen durch die Konzertreihe »Somehow We Can« Gehör finden. Nach dem Auftaktkonzert im Radialsystem im Juni dieses Jahres finden nun im Verlauf des Herbstes drei eigenständige Konzertabende an unterschiedlichen Orten in Berlin statt. So sollen neue räumliche und klangliche Zugänge eröffnet werden.

Die zweite Ausgabe der Reihe führte in die Galerie Ebensperger im Fichtebunker, einen Ort mit vielschichtiger Geschichte: Vor rund 140 Jahren als Gasometer errichtet, bot der Bunker während des Zweiten Weltkriegs tausenden Menschen Schutz vor Bombenangriffen und diente später zeitweise als Gefängnis. Die massiven Betonwände haben im Laufe der Jahrzehnte viele Funktionen erfüllt; Spuren davon sind noch heute in den Oberflächen sichtbar.

Der Komponist Wadada Leo Smith am Dirigentenpult mit Trompete in der Hand
Wadada Leo Smith
© Michael Jackson

Den Abend eröffnete ein Werk des US-amerikanischen Komponisten Wadada Leo Smith, einer der prägenden Figuren des Creative Jazz. In seinem siebzehnten Streichquartett »The Capitol Building, Grounds and Washington D.C. – Movement 2: The Lincoln Memorial« reflektiert Smith die Ereignisse des 6. Januar 2021 – den Angriff auf das Kapitol in Washington D.C.. Das Stück aus dem Jahr 2023 entfaltete sich durch Akkordverschiebungen und wiederkehrende Melodien als flexible Struktur. Obertonreiche Vierklänge erzeugten Tonschwebungen, die immer wieder von Tremoli durchbrochen wurden. Smith komponierte eine politische Musik ohne Parole, die das Capitol als Resonanzraum demokratischer Spannungen hinterfragt.

Henry Threadgill hieß der zweite Komponist, den Kurator Ethan Braun aufs Programm gesetzt hatte. Threadgill, ebenfalls US-Amerikaner, gewann 2016 als dritter Jazzmusiker überhaupt den Pulitzer-Preis in der Kategorie Musik. Während Smiths Musik vorwiegend vertikal, in aufeinandergeschichteten harmonischen Strukturen, angelegt war, öffnete sich Threadgills Streichquartett »Sixfivetwo« von 2018 horizontal in rhythmischen Mustern und vielfältigenMelodieläufen. Jede Stimme erhielt ihre eigene Partie, während das Quartett als Ganzes auch in Phasen der Improvisation eintrat. In der Rundarchitektur der Galerie fand diese Musik eine ideale Entsprechung, denn der lange Nachhall ließ akzentuierte Töne und Pizzicati mehrfach reflektieren.

Der Komponist Henry Threadgill spielt Bassquerflöte
Henry Threadgill
© Dirk Neven

Den Abschluss bildeten die 2021 entstandenen »Icon Studies II« der kanadischen Komponistin Sarah Davachi. Für eine intensivere Hörerfahrung wurden sämtliche Lichtquellen im Raum auf die Notenpultleuchten reduziert. Das Quartett begann im Unisono, bevor sich feinste Intonationsabweichungen zu einer mikrotonalen Fläche verdichteten. Bekannt für ihren minimalistischen Stil und den gezielten Einsatz psychoakustischer Effekte, ließ Davachi in »Icon Studies II« einzelne Stimmen aus der Textur hervortreten, ohne die monochrome Klangfläche aufzubrechen.

Am Ende des Abends wirkten alle drei Kompositionen nicht nur aus Gründen der Architektur lange nach, sondern hinterließen einen nachhaltigen Eindruck, der dazu anregte, sich näher mit ihren Schöpfer*innen zu beschäftigen. Einem Kaleidoskop ähnlich – im Wechselspiel von Klangfarbe, Form und Bewegung – hat Ethan Braun drei zeitgenössische Streichquartette zusammengestellt, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und dadurch voneinander profitierten. Das Solistenensemble Kaleidoskop interpretierte die Werke mit technischer Präzision und einem sensiblen Zusammenspiel.

Die Kompositionen und deren Interpretinnen bezeugen die fortwährende Relevanz des Streichquartetts als Form: nicht als historisches Relikt, sondern als lebendige Versuchsanordnung des Hörens im 21. Jahrhundert. Allein der Titel »Somehow We Can« gibt Impuls, ins Gespräch zu kommen, und deutet optimistisch an, dass Veränderungen im Musikprogramm möglich sind. Zuletzt ist es die Musik der präsentierten Komponist*innen selbst, die diesen Gedanken weiterführen kann.

Über Filip Bayer-Čech

Filip Bayer-Čech war während des Monats der zeitgenössischen Musik Praktikant bei field notes. Er ist freischaffender Künstler, Musiker und Musikwissenschaftler mit den Schwerpunkten Musiktheater, zeitgenössische Musik und Jazz. Er schreibt unter anderem für MusikTexte Online sowie Positionen und studiert im Master Musik, Sound, Performance an der Freien Universität Berlin.

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