Bericht: »Time to Listen« 2024

Time to Listen
©Stefanie Kulisch

Liebe Leser*innen,

mit großer Freude blicken wir auf die nun schon dritte Ausgabe unseres Symposiums »Time to Listen« zurück, die am 1. und 2. Oktober 2024 in Berlin stattfand. In der Akademie der Künste im Hansaviertel beschäftigten sich Musiker*innen, Künstler*innen, Komponist*innen und Denker*innen mit dem Thema der Nachhaltigkeit in der zeitgenössischen Musik. Über zwei Tage hinweg bot das Symposium ein abwechslungsreiches Programm aus etwa 20 Sessions, darunter Workshops, offene Gesprächsrunden, Podiumsdiskussionen, Vorträge, Listening-Sessions, Interventionen, Improvisationen, Installationen und Konzerte. Uns hat es besonders gefreut, dass das Symposium nicht nur ein Forum für die Vorstellung von Projekten und Konzepten war, sondern auch ein lebendiger Ort des Austauschs und der Vernetzung.

Das Programm beinhaltete sowohl Sessions aus dem Open Call als auch spontane Diskussionsrunden im Open-Space-Format. Die Teilnehmer*innen konnten sich mit ihren Ideen aktiv einbringen – eine Einladung, die positiv angenommen wurde und den gemeinschaftlichen Geist und die selbstbestimmte Form des Symposiums weiter stärkte und um inhaltliche Facetten erweiterte.

Das übergeordnete Thema der Nachhaltigkeit wurde bei der 2024er-Ausgabe von »Time to Listen« mit dem Begriff der »Klima(un)gerechtigkeit« konkretisiert – ein zentraler Aspekt der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte. Im Kern bezieht sich das Konzept der Klimagerechtigkeit auf die in der Klimakrise tief verwurzelten Ungerechtigkeiten und fordert, dass ökologische Nachhaltigkeit soziale Gerechtigkeit konsequent miteinbezieht. Denn obwohl die Klimakrise ein globales Problem ist, treffen ihre Folge nicht alle Menschen gleich: Länder des »Globalen Südens« tragen die Hauptlast der Umweltveränderungen und diskriminierte und marginalisierte Bevölkerungsgruppen haben weniger Möglichkeiten, sich den Klimafolgen anzupassen. In diesem Spannungsfeld von ökologischer Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit griff die Konferenz auf Themen früherer Symposien zu Dekolonisierung und Diversität in der neuen Musik zurück und führte diese Diskurse weiter.

Die Beiträge der Konferenz kreisten um zentrale Fragen: Welche Verantwortung trägt Musik im Kontext der Klimakrise, insbesondere in globaler Perspektive? Welche Rolle spielt Klang in unserem Verständnis des Menschseins, wie prägt das bewusste Hören unsere Wahrnehmung unserer Umwelt und inwiefern kann das Hören als Rahmen dienen, um uns von einer anthropozentrischen Sichtweise zu lösen. Kann das bewusste Zuhören uns helfen, unsere Beziehung zum Planeten neu zu denken? Wie kann mit den Mitteln der Musik auf Ungleichheiten hingewiesen werden und für die massive Schäden für die natürlichen und sozialen Systeme sensibilisiert werden? Welche klimaethischen Überlegungen stellen sich in der kuratorischen Arbeit? Letztlich stellte sich die grundlegende Frage: Wie können wir durch Klang verhandeln, wie wir zusammenleben möchten – und wer zu diesem »Wir« gehört?

In den letzten Jahren erleben wir immer deutlicher, wie tief sich die Klimakrise bereits in die künstlerische Praxis der zeitgenössischen Musik eingeschrieben hat. Es hat sich längst ein weites und kreatives Feld klangästhetischer Ansätze herausgebildet, in dem sich Komponist*innen, Musiker*innen und Klangkünstler*innen auf ganz unterschiedliche Weise mit Themen der Klimakrise auseinandersetzen. Sie reflektieren die Herausforderungen sowohl praktisch – in Bezug auf die Art und Weise, wie Musik produziert, präsentiert und rezipiert wird –, als auch inhaltlich. Einige wählen einen direkten, teils aktivistische Zugang etwa mit dem Ziel, durch künstlerische Mittel auf Missstände aufmerksam zu machen oder das Bewusstsein für drängende Fragen zu schärfen. Andere wählen einen wissenschaftlich geprägten Ansatz, indem sie künstlerische Forschung betreiben, mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten oder aber komplexe, oft abstrakte wissenschaftliche Erkenntnisse durch künstlerische Mittel auf neue Weise erlebbar machen. Und für wieder andere ist die Auseinandersetzung mit der Umwelt und ihren Klängen eine von vielen Inspirationsquellen, die sie auf subtile Weise in ihre Werke einfließen lassen. Ob aktivistisch, wissenschaftlich, poetisch oder auf noch ganz andere Weise – im Rahmen der Konferenz konnten einige dieser Ansätze vorgestellt und gemeinsam reflektiert werden.

Nachhaltigkeit ist für die Akademie der Künste und das field notes-Programm der initiative neue musik berlin e.V. seit Langem ein zentrales Anliegen. In seinem Grußwort verwies Manos Tsangaris, Komponist und Präsident der Akademie der Künste, auf den Klimawandel als Schwerpunktthema der Akademie im Jahr 2023 – ein Thema, das auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen wird. »Was können die Künste generell tun?«, fragte er und gab zugleich eine mögliche Antwort: »Es ist Zeit, endlich richtig zuzuhören.« 

Auch field notes setzt sich dafür ein, Nachhaltigkeit konsequent in das gesamte Programm zu integrieren. Neben der Konferenz ergänzen praxisorientierte Workshops das Angebot im Laufe des Jahres. Sie widmen sich gezielt konkreten Fragestellungen und Lösungsansätzen für eine nachhaltige künstlerische Praxis.

Eine Fachjury – bestehend aus Amanda Gutierrez, Néstor F. Martínez, Tania Rubio, Iris ter Schiphorst und Sabine Vogel – half uns dabei, die präsentierten Beiträge aus über 80 Einsendungen mit uns auszuwählen. Ein besonderer Dank gilt ihnen und allen Beteiligten, die mit Engagement und Offenheit ihre Perspektiven und Ideen in die Planung der Konferenz eingebracht und inhaltlich bereichert haben.

Bereichernd empfanden wir auch die vielfältige Zusammensetzung der Teilnehmenden. Viele Künstler*innen, Kurator*innen und Wissenschaftler*innen kommen jedes Jahr wieder, sodass sich mittlerweile ein offenes Netzwerk gebildet hat. Gleichzeitig sind neue Musikschaffende aus unterschiedlichen Ländern und Disziplinen hinzugekommen, die neue Perspektiven und Fragestellungen eingebracht haben. Insgesamt hat das Thema 2024 auch viele in Berlin lebende internationale Künstler*innen interessiert, so dass sich eine sehr fruchtbare Mischung aus neuen Impulsen und inhaltlichen Kontinuitäten ergab, für die wir sehr dankbar sind.

Wir freuen uns darauf, diese Diskussionen fortzusetzen und in den kommenden Jahren die Schnittstellen von Musik, Klang und Nachhaltigkeit weiter zu erforschen.

Lisa Benjes und Julia Gerlach

Peter Cusack
© Stefanie Kulisch

Peter Cusack: »Listening to Climate Change and Making Music Through the Window« (Listening-Session, Einleitung)

Das Zuhören steht im Mittelpunkt Peter Cusacks künstlerischer Arbeit. Cusack untersucht dabei den Klang unterschiedlichster Umgebungen, den menschlichen Einfluss auf diesen Klang, wie er sich über längere Zeiträume verändert und was sich daraus für Schlüsse ziehen lassen. 

Seit 2012 ist eines seiner Projekte der Hinterhof, auf den er von seiner Wohnung im Berliner Prenzlauer Berg schaut. Cusack bezeichnet diese Herangehensweise als »sonic journalism«. Er dokumentiert den Klang dieses urbanen Mikrokosmos mit Field Recordings, hat die Aufnahmen abgehört und analysiert, mit Bezug auf die Menschen und die Natur, die diesen Klangraum durch ihre Interaktionen prägen. Durch intensives Zuhören und das Achten auf Details spürte Cusack so Veränderungen in der Klanglandschaft auf, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Zum Beispiel bleiben bestimmte Vogelarten, die normalerweise für den Winter in den Süden ziehen würden, aufgrund der wärmeren Temperaturen nun in Nordeuropa. Berlin liegt unter der Zugroute des Europäischen Kranichs. Schwärme dieser Vögel sind im Herbst und frühen Frühling über der Stadt zu hören, wenn sie zu oder von ihren Winterquartieren in Spanien fliegen. Heutzutage jedoch sind sie auch zur Weihnachtszeit und mitten im Winter zu hören, was zeigt, dass sie zu dieser Jahreszeit immer noch hier sind und ihre traditionellen Zugbewegungen nicht mehr machen. Diese Veränderungen resultieren jedoch nicht notwendigerweise immer aus globalen Klimaveränderungen; zum Beispiel haben Gartenbauliche Veränderungen dazu geführt, dass Bienen im Sommer den Hof nicht mehr ansteuern. Cusack teilte seine Erkenntnisse über diese akustischen Konsequenzen mit den Teilnehmern der Sitzung, indem er Feldaufnahmen und Fotografien seines Gartens präsentierte und kontextualisierte. 

Diese klanglichen Veränderungen seien per se schon so umfangreich, dass sich für Musiker*innen, die mit Field Recordings arbeiten, daraus die unterschiedlichsten Schlussfolgerungen für ihre eigene Arbeit ergeben könnten, so Cusack. Er selbst habe für sich entschieden, mit den Aufnahmen so wenig wie möglich, wenn überhaupt, im Nachgang zu interagieren und sie als Basis für oder Elemente von Kompositionen zu verwenden. Künstler*innen sollten vermehrt gar nichts tun und den Klang der Umwelt nicht zwingend musikalisch kommentieren. Cusack empfahl stattdessen, die Hörpraxis auszubauen und warb für eine neue Sensibilisierung beim Hören. »There is enough going on sonically already«.

Der besonnene Fokus auf eine lokale Klangsituation, der die Symposiumsteilnehmer*innen sensible teilhaben ließ an dem Klanggeschehen auf dem Hinterhof und den dort gegebenen Mikro-Zusammenhängen, führte auf besondere Weise und exemplarisch in das Thema ein.

Danish Climate Network
© Stefanie Kulisch

Danish Climate Network: »Unrelated Narrations Within Sustainability« (Partizipativer Workshop)

2023 wurde der Think-Tank »Unrelated Narrations« auf Initiative von Art Music Denmark, dem Danish Composer’s Network und der Time to Listen Konferenz (inm / field notes und AdK) ins Leben gerufen, um die Klimakrise im Allgemeinen und die Nachhaltigkeit künstlerischer Praktiken im Besonderen zu reflektieren und bei Veranstaltungen und Konferenzen mit Interventionen, Sessions und Workshops zu thematisieren. Die sechs Künstler*innen Samuel Hertz, Tania Rubio, Marina Cyrino, Eduardo Abrantes, Miguel Angel Crozzoli und Heðin Ziska Davidsen bildeten bereits 2023 das Residenz-Team bei »Time to Listen«. In ihrem partizipativen Workshop stellten sie zunächst die Teilnehmenden in den Mittelpunkt und verorteten deren Ausgangspunkte in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Nachhaltigkeit zwischen den übergeordneten Begriffen »Ästhetik«, »Politik« und »Wirtschaft«. Den so entstandenen Gruppen wurden danach zusätzliche Begriffe präsentiert, zum Beispiel »Globalismus«, »Technologie«, »Globaler Süden/Norden« und schließlich auch ganz konkret die »Nachhaltigkeit«. Ändern sich die Ansatzpunkte der Teilnehmenden mit den zusätzlichen Parametern?

Es entstand schnell eine lebhafte Diskussion, in der unterschiedliche Perspektiven geäußert wurden. Einige Teilnehmende waren sich einig, dass die politische Ebene besonders wichtig sei und auch auf die künstlerische Praxis wirken müsse. Andere wiederum widersprachen dieser Priorisierung und plädierten für die Gleichbehandlung der im Raum stehenden Ansätze. Eine Teilnehmerin griff Peter Cusacks Plädoyer auf, Künstler*innen sollten lieber weniger oder auch mal gar nichts tun. Die Klimakrise sei umfassend dokumentiert, und die vorliegende »satisfaction of data« liefere zahlreiche Anknüpfungspunkte für den künstlerischen Prozess. Nachhaltigkeit müsse trotz aller globaler Dimension auch persönlich und innerlich reflektiert und anerkannt werden. Aber was ist eigentlich mit dem »sustain« in der »sustainability«, der Nachhaltigkeit? Daraus ergäben sich interessante musikalische Perspektiven, stellte ein weiterer Teilnehmer zur Diskussion. Auch das Verhältnis von »sustain« und »decay« eröffne neue Denkräume. 

Jorge Zurita Díaz
© Stefanie Kulisch

Jorge Zurita Díaz: »Emerging Nodes (flows from hydro-activism)« (Workshop und Video)

Der mexikanische Komponist und Klangkünstler Jorge Zurita Díaz arbeitet an der Schnittstelle zwischen instrumentaler Musik, Sound-Design und Elektroakustik. In seiner Arbeit setzt er verschiedene Konzepte oder organologische Materialien miteinander in Beziehung: z.B. das Mapping von Computerdaten mit Software-Tools wie Supercollider im Kontrast mit den Klangfarben akustischer Instrumente oder »found objects«. In seinem Workshop präsentierte er das Projekt »Emerging Nodes«, das er 2023 gemeinsam mit dem Umweltschutz-Kollektiv The Colectivo Humedal durchgeführt hat. Das Kollektiv engagiert sich in der Gegend von San Pedro Cholula gegen die Privatisierung und Trockenlegung von Feuchtgebieten. Diese Praxis hat massive Auswirkungen auf das ohnehin schon fragile Ökosystem Mexikos. Gemeinsam wurden Feuchtgebiete renaturiert und der Prozess mit Audio und Video festgehalten. Die neu entstandenen Feuchtgebiete unterstützen dabei nicht nur den Erhalt und die Stärkung des gefährdeten Ökosystems, sondern fungieren auch als Musikinstrumente. Jorge Zurita Díaz ist der Überzeugung, dass Klang als eingängiges Medium, das Potenzial hat, Menschen zusammenzubringen und zum Handeln zu motivieren.

Zu dem Workshop waren Teilnehmer*innen eingeladen, eigene Instrumente mitzubringen oder konnten mitgebrachte Objekte von Zurita nutzen, um entsprechend der Filmpartitur, die projiziert wurde, Klang zu erzeugen und damit dem Projekt eine weitere partizipatorische Ebene hinzuzufügen.


Futures of Listening
© Stefanie Kulisch

Futures of Listening: »Curating Water Knowledge« (Listening-Session und Diskussion)

Was können wir lernen, wenn wir dem Wasser zuhören? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Projekts »Curating Water Knowledge«. Die Ergebnisse sind beeindruckend und bieten tiefgreifende Hörerfahrungen. Wie hören wir dem Wasser zu? Welche Geschichten erzählen solche Hörerlebnisse, und wie hat sich unsere Beziehung zum Wasser im Laufe der Jahre verändert? Vor allem aber: Welche möglichen Zukünfte können wir uns durch solches Zuhören mit dem Wasser vorstellen?

Der Initiator des Projekts, Suk-Jun Kim (University of Aberdeen), präsentierte gemeinsam mit seinen Partnern von Transients (Südkorea), der Komponistin und Klangkünstlerin Jiyoung Yoon und Yeabon Jo, den Ansatz des Projekts – wie Verbindungen mithilfe von Karten und Klängen analysiert werden und wie Wissen zwischen verschiedenen Partnern (einschließlich in Istanbul) ausgetauscht wird. Sie teilten auch erste Ergebnisse und Klänge. Van Luber Parensen und Helmi Yusron vom Forum Lenteng/Sigisora in Jakarta nahmen per Videokonferenz an dem Workshop teil.

»Futures of Listening« ist eine Initiative zu Sound Studies/Art und Forschung, die sich mit der Frage beschäftigt, wie sich unsere Hörgewohnheiten in den kommenden Jahrzehnten verändern werden. Im Jahr 2023 in Zusammenarbeit mit dem National Asian Culture Center in Gwangju, Südkorea, ins Leben gerufen, wird diese Fragestellung durch vier Themen kontextualisiert: Anderen zuhören, dem Klimawandel zuhören, der Kluft zwischen Stadt und Land zuhören und im Zeitalter der künstlichen Intelligenz zuhören. Im ersten Jahr konzentrierte sich das Projekt auf die ersten drei Themen in Zusammenarbeit mit dem Forum Lenteng in Jakarta, Indonesien, wo erste Feldforschungen durchgeführt wurden, um diese Themen durch die Linse des Wassers zu erkunden. In ihrer Session gaben sie einen Zwischenbericht über ihr laufendes Projekt.

Wasser ist nicht nur ein Symptom klimabedingter Krisen wie steigender Meeresspiegel, häufiger Überschwemmungen mit Süßwasser oder der Absenkung von Land durch die Erschöpfung von Grundwasser, sondern auch ein wesentlicher Treiber mikro- und makrosozialer sowie geopolitischer Transformationen in Indonesien. Die Prämisse des Projekts lautet: Das Zuhören auf Wasser und lokales Wasserwissen aus Vergangenheit und Gegenwart und die Vorstellung, wie sich dieses Zuhören in naher Zukunft durch den Klimawandel verändern wird, bieten neue Perspektiven, um klima(um)gerechtigkeitsbezogene Fragen zu untersuchen.

Die Initiatoren konzentrieren sich auf zwei Regionen in Indonesien: Kampung Kalibata Pulo in Jakarta und Rangsot in Nord-Lombok. Diese beiden Orte, die stark unterschiedliche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Merkmale aufweisen, verbindet dennoch das Klangbild des Wassers. Seit Jahrzehnten ist Kampung Kalibata Pulo ein Zentrum der heimischen Textilindustrie in Jakarta, wo das Dröhnen von Nähmaschinen, das Plätschern eines flachen Flusses und das Treiben der Menschenmenge in einem urbanen Dorf eine Klanglandschaft des städtischen Wandels ohne Raumplanung schaffen. Im Gegensatz dazu gilt Rangsot, zwei Inseln entfernt von Java, historisch als trockenes Gebiet, in dem die Bewohner seit jeher Wasser von benachbarten Weilern leihen. Der Fluss in Rangsot ist für seinen intermittierenden Fluss bekannt, der die Bewohner vor Rätsel stellt – fließt er wirklich wie der Rücken eines Drachen, der mal über der Erde erscheint und mal unterirdisch fließt?

Dieser Kontrast bietet eine faszinierende vergleichende Klangstudie über lokales Wasserwissen, das sich wandelt und durch die Beziehung der Gemeinschaften – sei es Konflikt oder Verhandlung – mit Wasser als Natur, Kultur/Geist, Ressource und Regierungspolitik transformiert wird.

Die Vortragenden stellten folgende Fragen: Wie können wir nicht nur zuhören, sondern auch als Zuhörende auf Wasserwissen reagieren? Kann dieses verantwortungsvolle Zuhören uns in ein rhizomatisches Feld führen, in dem ökologische, gesellschaftliche und supra-ideologische Nachhaltigkeit vorstellbar wird? Welche kuratorischen Taktiken oder Prozesse (nicht Methoden) sind in diesem Zuhören involviert?

Das Kollektiv schlägt erstens vor, dass Wissen nicht nur das ist, was durch die Ansammlung von Fakten oder bewiesenen Wahrheiten etabliert wurde, sondern auch das, was fließt und sich bewegt, durch Vergessen verschwindet und durch Erinnern wiederbelebt werden kann. Zweitens betont die kuratorische Praxis, die sie in ihrem Projekt hervorheben, eine aufrichtige Form des Kuratierens – nicht nur das Auswählen, Organisieren und Schützen, was davon ausgeht, dass kuratierte Subjekte immer objektiviert werden. Stattdessen geht es darum, mit Empathie zu sorgen und anzuerkennen, dass das Wasserwissen, dem wir zuhören, immer überfließen oder sich anderswo manifestieren kann.

hany tea und Cavid Dhen
© Stefanie Kulisch

Performance: hany tea und Cavid Dhen »rice as food as politics«

Das Duo aus hany tea und Cavid Dhen präsentierten die elektroakustische Live-Performance »rice as food as politics«, die sich mit den komplexen Zusammenhängen von Klimagerechtigkeit, globaler Verflechtung, kultureller Identität und Umweltzerstörung befasste. Mit elektronischen Klängen, Holzblasinstrumenten, Poesie, Sampling, Field Recordings und der vietnamesischen đàn bầu verbanden die beiden Musiker*innen traditionelle und zeitgenössische Klangpraktiken. Im Zentrum stand ein mit Sensoren und Lautsprecher ausgestatteter Reiskocher, dessen Funktion als klangliches Element in die Performance integriert wurden – und nach 30 Minuten den perfekt gekochten Reis lieferte, der dem Publikum nach der Aufführung gereicht wurde. Inspiriert von June Jordans Gedicht »Focus in Real Time«, in dem die Schwarze feministische Dichterin eine Schüssel Reis als »Nahrung / als Politik«, als Arbeit, Ware und Fürsorge beschreibt, diente Reis, der einen erheblichen, aber oft übersehenen Einfluss auf das Klima hat, hier sowohl als kulturelles und rituelles Symbol als auch als Ausgangspunkt zur Reflexion über nachhaltigen Konsum und globale Konsumbedürfnisse.

Nico Daleman
© Stefanie Kulisch

Nico Daleman: »Cancelling Noise« (Listening-Session und Diskussion)

Noise Cancelling, die Unterdrückung von „Stör“-geräuschen gilt als eine der größten technischen Errungenschaften in der Geschichte der Kopfhörer-Technik. Aber wer definiert, was „Noise“ ist, was stört, also nicht wichtig ist, weg kann oder sogar muss? Was ist Lärm (Noise)? Gelten kulturelle Unterschiede bei dieser Entscheidung und ist die mittlerweile etablierte Technologie ein weiterer Beweis für die ästhetische Dominanz großer Tech-Konzerne?

»Cancelling Noise« ist ein künstlerisches Forschungsprojekt von Nico Daleman, das sich mit der Nutzung von Technologien zur Geräuschreduzierung als klanglichem Material auseinandersetzt. Die Arbeit untersucht, wie digitale Algorithmen in Headsets und Videokonferenzen unser Hörverhalten beeinflussen und dabei den Klang unserer Umgebung verformen. Daleman verwendet klangliche Überreste dieser Algorithmen – Klicks, Knacken, Spektralverzerrungen – um alternative Hörpraktiken zu entwickeln und die Grenzen dessen, was als „Lärm“ gilt, neu zu verhandeln. 

Anhand von Field Recordings aus Städten wie Berlin, Bogotá, Mexiko-Stadt und Istanbul reflektierte Daleman kulturelle Unterschiede im Umgang mit Lärm und stellte die unbewussten Vorurteile der Algorithmen bezüglich Race, Geschlecht, Klasse und körperlicher Fähigkeiten in Frage. Dabei werden Geräuschquellen wie Verkehr und elektromagnetische Emissionen analysiert, um soziale Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren der Stadt zu erkunden. Im Unterschied zu konventionellen Klangreinigungsverfahren zielt Dalemans Forschung darauf ab, Lärm als festen Bestandteil unserer Klangumgebung und als Spiegel der politischen Gegenwart anzuerkennen und fragt: »Wer hat das Recht auf Stille?«

Nico Dalemans Radioshow bei Cashmere

Banu Çiçek Tülü
© Stefanie Kulisch

Banu Çiçek Tülü: »Inundated: Speculations on Water as a Site and a Paradigm« (Vortrag und Performance mit Live-Elektronik)

In ihrer hybriden Präsentation, die Vortrag und Performance vereinte, beschäftigte sich Banu Çiçek Tülü mit den kuratorischen Implikationen und Herausforderungen, die der Klimawandel und Nachhaltigkeitsbestrebungen mit sich bringen. 

Tülü argumentierte, dass die Dokumentation des Lebens in Krisenzeiten durch Musik und Klang einen inklusiveren Ansatz schaffen könne, da Klang Sprachbarrieren überschreite und es ermögliche, Erfahrungen auszudrücken, die sonst möglicherweise übersehen würden. Durch die Einbeziehung von Klang schlägt Tülü eine Methode vor, um Lücken zwischen lokalen und globalen Herausforderungen zu überbrücken, das Bewusstsein zu fördern, den Dialog anzuregen und kollektives Handeln zu unterstützen – insbesondere im Kontext von marginalisierten Gemeinschaften, die vom Klimawandel betroffen sind.

Ein zentrales Element ihrer Präsentation war die Metapher der „Überflutung“ („Inundation“), mit der sie die Bedeutung von Wasser sowohl als universelles Thema als auch als politisch aufgeladenes Thema in ihrer Heimat, dem Südosten der Türkei, verdeutlichte. In dieser Region sind Entscheidungen rund um Wasser, wie etwa der Bau von Staudämmen, tief mit politischen, sozialen und ökologischen Implikationen verbunden. Tülü hob hervor, wie Wasser, obwohl es flüssig und essentiell ist, von den Mächtigen kontrolliert, manipuliert oder blockiert werden kann, oft mit weitreichenden Konsequenzen für lokale Gemeinschaften. Sie verwies auf die Arbeiten von Akinci und Tan, die argumentieren, dass der Bau von Infrastruktur in Grenzregionen, wie etwa Staudämmen, als eine Form der ökologischen Legitimierung für politische und wirtschaftliche Kontrolle dienen kann, was zu Vertreibungen von Gemeinden und Veränderungen der agrarwirtschaftlichen Strukturen führt.

Tülü stellte auch infrage, wie Kunst, insbesondere durch Klang, diese komplexen Themen ansprechen und die Erzählungen über Nachhaltigkeit und Umweltgerechtigkeit verändern kann. Sie präsentierte künstlerische Ansätze, um sich mit wasserbezogenen Nachhaltigkeitsproblemen und den sozio-politischen Auswirkungen des Staudammbaus auseinanderzusetzen, insbesondere in marginalisierten Regionen wie dem Südosten der Türkei und Nordirak. Durch den Einsatz von Klang zur Darstellung dieser Themen hofft Tülü, die von oben nach unten gesteuerten Entscheidungsprozesse herauszufordern und einen breiteren, inklusiveren Diskurs über die Zukunft von Wasserressourcen und deren Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften zu fördern. Das Ziel ist es, das Bewusstsein für die sozio-politischen Auswirkungen von Infrastrukturprojekten, wie etwa dem Bau von Staudämmen, und deren langfristige Implikationen für sowohl die Umwelt als auch die Menschen in diesen Regionen zu schärfen.

Durch ihre Arbeit möchte Tülü einen Raum für den Dialog über die Manipulation von Körpern und Umwelten schaffen und dabei hinterfragen, wie diese Manipulationen dargestellt werden können und wie die Einbeziehung marginalisierter Stimmen den Diskurs über Nachhaltigkeit verändern kann. 

Offene Diskussionsrunde:
© Stefanie Kulisch

»Best practice and pitfalls in collaborations between art, society and science and intercultural setting« (Offene Diskussionsrunde)

Dieses Panel untersuchte, wie künstlerische Projekte zwischen Kunst, Gesellschaft und Wissenschaft als Brücke zwischen verschiedenen Gemeinschaften und wissenschaftlicher Forschung dienen können und dabei gegenseitiges Verständnis sowie innovative Ansätze fördern können. Zentrale Aspekte sind unter anderem ethisches Storytelling, der Umgang mit kulturellen Unterschieden und die Sicherstellung einer fairen Beteiligung. Anhand von Beispielen wurden Strategien und Methoden vorgestellt, um inklusive und wirkungsvolle Kooperationen zu schaffen, die alle beteiligten Stimmen respektieren. Zur Sprache kamen aber auch Herausforderungen wie Machtungleichgewichte und Kommunikationsprobleme.

In der Runde stellten der Komponist Beltràn Gonzalez, Claudia von Hasselt and Nicolas Wiese (FrauVonDa//), Adnan Softić and Nina Softić (Klimaton), Karen Power (composer) und Suk-Jun Kim (Sound Artists and Futures of Listening), die allesamt viel Erfahrung an den Schnittstellen von Kunst Gesellschaft und Wissenschaft gesammelt haben, ihre konkreten Projekte vor und diskutierten mit den Teilnehmenden des Symposiums.

Eine zentrale Frage war, wie künstlerische Projekte so gestaltet werden können, dass sie auf die spezifischen klimatischen Veränderungen in bestimmten Regionen eingehen, das Interesse der lokalen Gemeinschaften wecken und die Menschen aktiv einbinden. Diskutiert wurde, dass Kunst als Brücke zwischen verschiedenen Gemeinschaften dienen kann, indem sie gegenseitiges Verständnis und Empathie fördert. Zudem kann Kunst auf neue, ungewohnte Themen aufmerksam machen und wissenschaftliche Forschung anschaulich vermitteln.

Klang und Musik, wurde betont, hat ein besonderes Potenzial, komplexe Prozesse erlebbar und nachvollziehbar zu machen. Von der Präsentation von Unter-Wasser-Field-Recordings der Oder durch die Kooperation mit gewässerbiologischen Instituten (FrauVonDa//) zum Bau eines Synthesizers, der die Daten der Arktis-Expedition »MOSAiC« in Musik übersetzt (Klimaton): Je zugänglicher die Ergebnisse der Projekte präsentiert werden, desto größer der Nachhall. Wichtig dabei ist auch der partizipatorische Ansatz. Wenn Field Recordings nicht nur nach Abschluss präsentiert, sondern gemeinsam mit der Community gemacht und diskutiert werden, wächst das Interesse der Menschen vor Ort, sich mit der Umwelt – ihrer Umwelt – auseinanderzusetzen. 

Für die Adaption neuer Methoden und Ansätze ist der Blick in den »Globalen Süden« unerlässlich. Dort haben die Menschen bereits viel länger Erfahrungen mit Katastrophen und daraus auch künstlerische Konsequenzen gezogen – vom Klima bis zum Kolonialismus. Ganz egal, wie einzelne Projekte funktionieren und/oder ausgestaltet werden: Die Zusammenarbeit aller Beteiligten kann zu ganz neuen Synergien führen – technisch und ästhetisch und der lokale Erfahrungsschatz kann nicht zu hoch eingeschätzt werden.

Kirsten Reese
© Stefanie Kulisch

Kirsten Reese: »Climate justice learning and teaching« (Workshop)

In ihrem Workshop teilte die Komponistin, Klangkünstlerin und Hochschuldozentin Kirsten Reese ihre aktuelle Herangehensweise an die Vermittlung von Klimawandel, Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Kontext der Hochschulbildung, insbesondere mit Studierenden, die sich darauf vorbereiten, als Vermittler*innen in die Gesellschaft zu wirken – Künstler*innen, Sozialfachkräfte und Pädagog*innen. Es wurde betont, dass die Methodik solcher Seminare eng mit den Inhalten verwoben ist und auf gegenseitigem Lernen sowie dem Austausch von Erfahrungen, Emotionen und Wissen beruht. Reese lehrt an Institutionen wie der Universität der Künste Berlin (UdK) und auch an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen, wo die Studierenden darauf vorbereitet werden, mit Menschen zu arbeiten, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, deren Lebenssituation jedoch oft wenig Raum für ein Bewusstsein für Nachhaltigkeitsfragen lässt. Darüber hinaus müssen sich die Studierenden mit der Wahrnehmung auseinandersetzen, dass der Klimawandel und die Klimakrise für viele junge Menschen heute weniger dringlich erscheinen, sowie mit rückschrittlichen Tendenzen in Gesellschaften weltweit.

Reese stellte ein pädagogisches Rahmenwerk und 13 zentrale Punkte als »Erkenntnisse« (siehe PDF) vor, die aus den Erfahrungen der Seminare hervorgegangen sind. Diese konzentrieren sich auf Kernfragen wie: »Was passiert? Wie können wir reagieren? Welche Fragen müssen wir beantworten? Wie können wir inklusiv sein und gleichzeitig für andere eintreten? Welche Rolle kann Kunst spielen?« Diese Schritte unterstreichen die Bedeutung von Wissensaneignung und -weitergabe, um persönliches Engagement zu fördern, dabei jedoch eine breitere Perspektive zu wahren. Der Prozess umfasst das Ermitteln individueller Handlungsmöglichkeiten, aktives Zuhören, kritische Analyse, Expertiseentwicklung, das Ziehen von Schlussfolgerungen und »aufmerksames Hinhören auf die Welt.« Durch die Synthese dieser Erkenntnisse können die Teilnehmenden ihre eigenen Ansätze formulieren. Projekte von Gruppen aus verschiedenen Seminaren wurden als Beispiele für diese ästhetischen oder aktivierenden Ansätze gezeigt. Kunst, so argumentierte Reese, spiele eine wesentliche Rolle: Sie bietet eine alternative »Sprache«, die selbst diejenigen erreichen und inspirieren kann, die sich zurückgezogen oder überfordert fühlen.

Kirsten Reese, Komponistin und Klangkünstlerin, schafft Werke im Zusammenhang mit der akustischen Biosphäre und Technosphäre. Als Forscherin und Dozentin liegt ihr Fokus auf Diversität und Spezifität (technologisch, sozial, ökologisch) in den Klangkünsten, Klangökologien und Handlungsmöglichkeiten, der Wahrnehmung von Klängen sowie Prozessen der Übersetzung und Transformation.

Alejandra Borea
© Stefanie Kulisch

Alejandra Borea: »Sound Recycling: (Ästh)Ethik des Samplings« (partizipativer Vortrag und kollektive Hörübung)

Ale Borea ist eine peruanische Perkussionistin und Klangkünstlerin, die in Berlin lebt und arbeitet. Sie hat einen Masterabschluss in Philosophie mit Schwerpunkt auf der Phänomenologie des Hörens. 

Ihr workshop basierte auf ihren Forschungen zur Phänomenologie von Sampling-Praktiken. Ihr Anliegen war es, die Möglichkeiten des Klangrecyclings durch die Praxis des Samplings kritisch zu analysieren und zu diskutieren sowie die Gleichsetzung (Sampling = Recycling = Nachhaltigkeit) infrage zu stellen, um die ästhetischen und ethischen Implikationen in kreativen Praktiken weiter zu erforschen. Die drei thematischen Schwerpunkte waren: 

  1. die Phänomenologie marginaler Klanglichkeit und Aufnahmeprozesse, 
  2. die Erforschung des Potenzials von Klang, mögliche Klangwelten zu erschaffen, inspiriert von den Vorschlägen von Salomé Voegelin und Kodwo Eshun, und 
  3. ein Ansatz zum Sampling, der Türen zu einer sogenannten »Entelechie« des Samplings öffnete, das heißt, eine Übung des vitalistischen Post-Anthropozentrismus durch klangliche Imagination, die Klangfragmente entfaltete. 

Diese Diskussion ermöglichte es den Teilnehmenden, die Konzepte von (Re)source, (An)archivierung und Anarchie, Postmemory und Klangökologien neu zu überdenken und umzudeuten.

Café Climate | European Alliance of Academies
© Stefanie Kulisch

Café Climate | European Alliance of Academies

Im Rahmen der Konferenz fand außerdem eine weitere Ausgabe des Café Climate statt, einer Initiative der European Alliance of Academies. In einem entspannten, caféähnlichen Setting kamen Teilnehmer*innen zusammen, um sich mit drängenden Fragen und möglichen Lösungen für die ökologische Krise auseinanderzusetzen. Dabei stand nicht nur der wirtschaftliche Blickwinkel im Vordergrund, sondern ein Ansatz, der die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit aus einer konkreten, kulturellen und politisch breit gefassten Perspektive betrachtete.

Der thematische Fokus lag auf der Frage, wie wir als Einzelpersonen und als Gemeinschaften zu einer notwendigen Transformation beitragen können. Wie können unsere Gesellschaften und Ökosysteme sich an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen? Und wie können wir gemeinsam daran arbeiten, unsere Umwelt – einschließlich des bedrohten gemäßigten Klimas – zu bewahren?

Die Diskussionen wurden von einem hochkarätigen Panel bereichert, darunter Mitglieder der European Alliance of Academies wie die Komponistin Iris ter Schiphorst, die Schriftstellerin Cécile Wajsbrot sowie die Künstler*innen Jovana Popić und Petja Ivanova. Darüber hinaus nahmen eingeladene Expert*innen wie der Komponist und Autor Bernhard König, die Architekturwissenschaftlerin Alexandra Nehmer, die Kulturforscherin Dr. Carla J. Maier (mit Schwerpunkt auf Klang und Hören) und der Journalist und Aktivist Eckhard Roelcke (Mitglied der Gruppe Letzte Generation) teil.

Die Gespräche, die sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch stattfanden, boten den Anwesenden die Möglichkeit, sich aktiv über Themen wie Klimagerechtigkeit, kulturelle Verantwortung und zukunftsfähige Lösungen auszutauschen. Es war ein lebendiger Dialog, der die Bedeutung des interdisziplinären Austauschs in Zeiten der Klimakrise unterstrich.

Café Climate ist eine Initiative der European Alliance of Academies, die 2020 von 70 Kunstakademien und Kulturinstitutionen in ganz Europa gegründet wurde, um für die Freiheit der Kunst einzutreten. 

Weitere Informationen unter: www.allianceofacademies.eu.

Tag 2
© Stefanie Kulisch
Eva von Redecker
© Stefanie Kulisch

Eva von Redecker über »Bleibefreiheit«

Zum Auftakt des zweiten Symposiumtags stellte die Philosophin Eva von Redecker Gedanken aus ihrem Buch »Bleibefreiheit« vor, in dem den Begriff der Freiheit beleuchtet. 

Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Beobachtung, dass das Konzept der liberalen Freiheit zunehmend auseinanderbricht. Freiheit werde häufig missverstanden, und Handlungen im Namen der vermeintlichen Freiheit äußerten sich immer öfter in Gewalt. Spätestens seit der Pandemie ist »Freiheit« zu einem Kampfbegriff geworden. Auch notwendige Veränderungen zur Bewältigung der Klimakrise werden heute oft als Eingriffe in die persönliche Freiheit wahrgenommen. 

Von Redecker beschreibt in »Bleibefreiheit« die Freiheit des Bleibens als eine neue Form von Freiheit, die nicht nur das Recht meint, an einem beliebigen Ort bleiben zu dürfen, sondern auch das Recht auf ein Leben in Würde und auf eine stabile, lebenswerte Umgebung. Besonders im Kontext von Klimawandel und globalen Migrationsbewegungen wird dieser Ansatz wichtig, da oft diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, am stärksten von deren Auswirkungen betroffen sind und gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen.

Die Autorin fordert ein neues Verständnis von Zugehörigkeit und Solidarität, das über nationale Grenzen hinausgeht. Dabei zieht sie Parallelen zur Philosophie der Freiheit und zum Begriff des »Bleiberechts«, das jedoch nicht in einem nationalen, sondern in einem existenziellen und sozialen Sinn gemeint ist. »Bleibefreiheit« schlägt somit eine politische und philosophische Neuausrichtung vor, in der die Möglichkeit, in einer vertrauten und sicheren Umgebung zu bleiben, als unveräußerliches Recht verstanden wird.

Von Redecker verknüpft ökologische Überlegungen mit sozialer Gerechtigkeit und entwickelt einen theoretischen Rahmen, der sich gegen kapitalistische Logiken stellt, die Menschen und die Natur ausbeuten und destabilisieren. »Bleibefreiheit« fordert dazu auf, individuelle Freiheiten und das Wohl der Gemeinschaft miteinander zu verbinden und stellt ein Plädoyer für eine tiefere Verantwortung für die Umwelt und für ein kollektives Eintreten für diejenigen, die vom Verlust ihrer Heimat bedroht sind.

Das Buch knüpft an ihre früheren Arbeiten an, die sich bereits kritisch mit Kapitalismus, Eigentum und deren Einfluss auf soziale Beziehungen und die Umwelt auseinandersetzen. »Bleibefreiheit« stellt diese Fragen noch stärker in den Kontext der Klimakrise und sozialer Ungerechtigkeiten.

In der anschließenden Diskussion, moderiert von Reimar Volker, dem Bereichsleiter Musik des Goethe-Instituts, tauschen sich die Teilnehmenden gemeinsam mit von Redecker darüber aus, welche Rückschlüsse sich aus dem Begriff der »Bleibefreiheit« für musikalische Praktiken ableiten lassen. Die intensive künstlerische Auseinandersetzung mit der angestammten Umgebung, biete viele Chancen: Peter Cusack hätte dies zu Beginn des Symposiums bereits eindrücklich geschildert. 

Marina Cyrino
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Marina Cyrino / Matthias Koole / Angélica Freitas: »Buck Passing« Ausschnitte aus der Performance und anschließende Diskussion

Im Jahr 2024 wurde die Europäische Union zur ersten internationalen Organisation, die die schwerwiegendsten Fälle von Umweltschäden, die als »vergleichbar mit Ecocide« gelten, kriminalisierte. Ein bemerkenswerter Punkt dieser »revolutionären« Gesetzgebung ist allerdings, dass es im Ermessen der Mitgliedstaaten bleibt, ob Straftaten, die außerhalb der EU-Grenzen im Auftrag von EU-Unternehmen begangen wurden, unter die neue Richtlinie fallen. Diese Regelung war jedoch noch nicht endgültig vereinbart.

Im Rahmen des Symposiums »Time to Listen« schlugen die brasilianischen Künstler*innen Marina Cyrino, Matthias Koole und Angélica Freitas eine Performance-Lecture und eine kollektive Diskussion vor, die auf ihrem Projekt "Buck-Passing" basierte. Dieses Projekt beleuchtete die Verflechtungen zwischen Deutschland und Brasilien in Bezug auf umweltschädliche Vergehen, insbesondere die Katastrophe von Brumadinho, bei der vom deutschen TÜV SÜD für sicher befundende Damm des brasilianischen Bergbauunternehmens VALE im Januar 2019 brach und 272 Menschenleben kostete. Der Paraopeba-Fluss wurde über 200 km hinweg stark kontaminiert.

Die Sitzung begann mit einer ca. 20-minütigen Performance mit Auszügen aus »Buck-Passing«. Anschließend diskutierten die Künstler*innen mit dem Publikum über zwei Hauptthemen: die ästhetischen und ethischen Entscheidungen bei der Darstellung des Leidens anderer, um eine solidarische Mobilisierung zu erreichen, ohne deren Geschichten zu vereinnahmen; und die Herausforderungen für Künstler*innen und Institutionen, effektive Strategien zu entwickeln, um Druck auf EU-Unternehmen und Regierungen auszuüben, damit Gerechtigkeit bei globalen Ökoziden hergestellt wird. Unter anderem wurde vorgeschlagen, sich in der Musik zusammenzuschließen und durch ein groß angelegtes Festival aktiv zu werden.

nathan gray
© Stefanie Kulisch

Nathan Gray »Listening to Indigenous cultures and extractive industries in Australia’s Northwest« (Listening-Session)

Anerkennung: Diese Werke entstanden auf dem Land der Ngarluma- und Yindjibarndi-Völker und beziehen sich auf das Land der Puutu Kunti Kurruma Peoples (PKKP) – wir zollen ihren Ältesten, vergangenen und gegenwärtigen, unseren Respekt.

Seit 2022 arbeitet der australische Klangkünstler Nathan Gray, dessen Schwerpunkt auf Sprache liegt, mit und für die indigene Bevölkerung der Pilbara-Region im Nordwesten Australiens. Unter anderem arbeitet er mit Juluwarlu – dem kulturellen Archiv des Yindjibarndi-Volkes – und Ngaarda Media, einem Radiosender, der die 31 Sprachgruppen der Region repräsentiert.

Im Jahr 2019 wurden die Yindjibarndi das erste indigene Volk, das ein exklusives »Native Title« über ein bestehendes Minengelände erhielt. Dies gibt ihnen Zugang und Entschädigung, jedoch nicht das Recht, den Bergbau zu verhindern.

Gray teilte Einblicke in seine Arbeit vor Ort und präsentierte einige der Klangwerke, die er in Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft geschaffen hat. Diese sind inzwischen Teil des Juluwarlu-Archivs und fungieren zugleich als Kunstobjekte in Galerien. Er hob die Bedeutung von Klangpraktiken hervor – darunter Lieder, mündliche Überlieferungen, Aufnahmen und Radiobeiträge –, die eine zentrale Rolle im juristischen Prozess der Landrückgewinnung spielen.

Die von Gray präsentierten Klangproben und Ausschnitte betonten die musikalische Herangehensweise seiner Arbeit. Die gesammelten Feldaufnahmen wurden bearbeitet und gestaltet, um sowohl seine Verpflichtung zur Zugänglichkeit für die Gemeinschaft als auch die spezifische Rolle von Radio und Klangaufnahmen in den fortwährenden rechtlichen und medialen Kämpfen um indigene Stätten hervorzuheben.

Diese Herangehensweise zeigt sich auch in Ausschnitten von »The Train from Jukaan Gorge«, einem Projekt, in dem Gray Feldaufnahmen autonomer Güterzüge in eine Komposition verwandelte, die an einen Soundtrack eines Horrorfilms erinnert. Diese über einen Kilometer langen Züge transportieren das Eisenerz aus der Jukaan-Schlucht, wo im Mai 2020 das Bergbauunternehmen Rio Tinto die Jukaan-Schlucht-Höhlen sprengte – heilige Stätten der Puutu Kunti Kurrama- und Pinikura-Völker in der Pilbara-Region. Der archäologische Fundort zeigt Spuren kontinuierlicher menschlicher Besiedlung, die 46.000 Jahre zurückreichen.

Nathan Grays Radioshow bei Cashmere

Arash Pandi
© Stefanie Kulisch

Arash Pandi: »Sonic story-telling for uncomfortable climate topics« (Open Session)

Der in Dänemark lebende Iraner Arash Pandi ist Musiker, Klangkünstler und seit 2020 auch Bio-Bauer. Kurz vor der Pandemie verbrachte er eine längere Zeit in seiner iranischen Heimat und setzte sich dort intensiv mit dem menschlichen Verhältnis zur Umwelt einerseits und der Gewalt andererseits auseinander, die bei der Viehzucht ganz unvermeidlich entsteht. Dabei sei das Prinzip der Gewaltlosigkeit tief in der Religion seines Heimatlandes verwurzelt und reicht Jahrhunderte vor den Islam zurück (Zoroastrismus, Manichäismus, Mazdakismus, etc.). Er versteht Gewalt nicht nur als physische Handlungen gegen Tiere, sondern in einem breiteren Kontext: »In Dänemark stammen fast die Hälfte der Emissionen des Landes aus dem Agrarsektor, wovon 94 % durch die Produktion tierischer Produkte verursacht werden«, was er als eine Form von Gewalt gegen die Umwelt betrachtet. Lässt sich das musikalisch abbilden? 

In seiner Open Session präsentierte Pandi Ansätze seiner musikalischen Auseinandersetzung mit diesem Thema – zunächst mit collagierten Field-Recordings. Die Teilnehmenden hörten fröhlich grunzende Schweine mit Vogelgezwitscher im Hintergrund: arrangiert, denn »die meisten Schweine hören heute keine Vögel, obwohl sie Waldtiere sind. Sie leben im Stall oder Gehegen ohne Zugang zum Wald.« Tierische Produkte, so Pandi, basieren auf grundsätzlich Gewalt. Dies inspirierte auch sein Stück »I'm an animal«, in dem die Lebensrealität von Nutztieren in den Mühlen der Lebensmittelproduktion mit Musik und Text eindrücklich dokumentiert wird.

Jenna Vergenyst
© Stefanie Kulisch

Jenna Vergeynst: »Inclusion of non-human life« (Open Session)

Die belgische Harfinistin Jenna Vergenyst lud in ihrer Session ein, die Idee des Zuhörens und des Musizierens auf »nicht-menschliche« oder »mehr-als-menschliche Akteure« auszuweiten. 

Die Einbeziehung von »non-human« oder »more-than-human actors« betrifft die Anerkennung und Berücksichtigung von Lebewesen und natürlichen Entitäten, die jenseits des menschlichen Lebens existieren. Dieser Ansatz zielt darauf ab, Menschen, Tiere, Pflanzen, Ökosysteme und sogar technologische oder künstliche Entitäten als Teil eines vernetzten Ganzen zu verstehen und sie in ethische, soziale und ökologische Überlegungen einzubeziehen. Zentrale Aspekte dieser Perspektive ist die ökologische Verbundenheit: Es wird davon ausgegangen, dass alle Lebewesen und ökologischen Systeme miteinander verbunden sind. Der Mensch wird nicht isoliert betrachtet, sondern als Teil eines Netzwerks, das von Pflanzen, Tieren, Mikroben, Böden und Atmosphären abhängig ist. Wie können in der Musik diese wechselseitigen Abhängigkeiten erkannt und so gehandelt werden, dass das Wohl aller Beteiligten gefördert wird? Bei der Diskussion steht die Abkehr vom Anthropozentrismus im Vordergrund. In traditionellen westlichen Philosophien und Gesellschaften wird der Mensch oft als Maß aller Dinge gesehen. Die »more-than-human«-Perspektive hingegen versucht, diese Sichtweise zu überwinden und andere Lebensformen und Akteure in den Mittelpunkt zu stellen. Statt die Natur als Ressource für den menschlichen Nutzen zu betrachten, wird sie als Mit-Akteur verstanden.

In der offenen Diskussion kam zur Sprache, dass es oftmals gar keine Interaktion mit Entitäten braucht, um ihren klanglichen Charakter zu erfassen und es wurde betont, dass man diesen Klangquellen mit dem gleichen Respekt begegnen müsse: denn Sound ist Sound. Adnan und Nina Softić von Klimaton berichteten, dass sie während ihres Projekts zur Arktis-Expedition »MOSAiC« zu ganz ähnlichen Ergebnissen gekommen seien. 

Durch die Einbeziehung von nicht-menschlichem oder mehr-als-menschlichem Akteuren entstehen neue ethische Fragen: Bei Field Recordings stellen sich zum Beispiel Fragen hinsichtlich der Zustimmung und Rechte von Entitäten, deren Klänge aufgenommen werden. Ebenso relevant ist die Frage, wie die Aufnahmen genutzt werden, um Ausbeutung oder kulturelle Aneignung zu vermeiden und die Würde der dokumentierten Klänge zu wahren.

Die Teilnehmenden der Open Session forderten die Wertschätzung und Integration dieser »more-than-human Sounds« in der Arbeit der Kunstinstitutionen. Unter den Stichworten »Konservation« und »Restauration« müsse ein völlig neuer Arbeitsansatz gefunden werden. Dabei sei es besonders wichtig, ein »zeitgenössisches Ohr« zu entwickeln und gleichzeitig das Design und die aktuelle Arbeit von Museen und Konzerthäusern zu hinterfragen. Diese agieren ganz im Geiste des »westlich geprägten Hörens«, was nicht mehr zeitgemäß ist.

Damit setzte Vergenyst eine Debatte fort, die 2023 der Schweizer Wissenschaftler Gilles Aubry mit der Vorstellung seines Projekts »Stonesound« bei »Time to Listen« angestoßen hatte, dessen Arbeiten sich um die Interdependenzen zwischen Klang, Technologie und Umwelt(stimmen) vor dem Hintergrund machtpolitischer Gegebenheiten und des Kolonialismus drehen. 

Berhard König
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Bernhard König: »Great Acceleration & European Concert Culture« (Open Session)

Der Komponist und Buchautor Bernhard König lud in einer »Open Session« zu einer Vorstellung seines aktuellen Buchs »Musik und Klima« ein.

In »Musik und Klima« vertieft König Überlegungen zu den Wechselbeziehungen zwischen Musik und Klima, die ihn schon seit Jahren in verschiedenen Projekten und Publikationen begleiten. Das Buch verknüpft die Perspektive des Musizierens, des Musikhörens und der musikalischen Ästhetik mit drängenden Fragen des Klimaschutzes. 

Musik, so König, benötigt stabile klimatische und ökologische Rahmenbedingungen, die durch die Klimakrise weltweit zunehmend bedroht sind. Die Erosion dieser Grundlagen gefährdet nicht nur regionale Musikkulturen, sondern auch das europäische musikalische Erbe. Gleichzeitig trägt das expansive Musikleben, mit globalem Tourismus und datenintensivem Streaming, ungewollt zur eigenen Bedrohung bei.

Musikliebende können einen Beitrag leisten, indem sie nachhaltige Formen des Musizierens fördern – etwa lokale kulturelle Vielfalt schätzen, selbst Musik machen und auf klimaschonende Praktiken achten. In Zeiten des Klimawandels kann Musik Hoffnung, Zusammenhalt und neue Naturbeziehungen fördern, klimabedingte Migration positiv begleiten und die Abhängigkeit von ressourcenintensiven Strukturen verringern.

Musik allein wird die Welt nicht retten, aber sie kann Inspiration, Resilienz und kulturellen Wandel anstoßen, um einer nachhaltigen und lebendigen Zukunft Raum zu geben.

Weitere Informationen zum Buch finden sich auf den Verlagsseiten von ConBrio und Oekom sowie auf https://musik-und-klima.de/home/hintergruende/

Ute Wassermann

Ute Wassermann: »Sound Choir« (gemeinschaftliche Vokal-Performance)

Eine interaktive Performance gab es von der Vokalkünstlerin Ute Wassermann. Sie erklärte den Teilnehmenden zunächst grundlegende Praktiken des Umgangs mit der eigenen Stimme und deren performativen Möglichkeiten. Dann demonstrierte sie ihren künstlerischen Umgang mit ihrer Stimme im Zusammenspiel mit historischen Pfeifen aus Brasilien, zum Teil 150 Jahr alt. Die Pfeifen, die oft spezifische Vogelarten imitieren, sind Beweis der teilweise bereits verloren gegangenen Bio-Diversität unseres Planeten. Lassen sich aus der Kombination dieser Flöten und der eigenen Stimme neue künstlerische Praktiken entwickeln? Im Anschluss führte Wassermann die Teilnehmenden in einige ihrer Praktiken ein. Atem, Lautbildung, die Verbindung zwischen Körper, Bewegung und Stimme standen dabei im Zentrum. Die Teilnehmenden probierten die unterschiedlichsten Vokal-Praktiken unter ihrer Leitung gemeinsam aus.

Offene Diskussionsrunde
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Offene Diskussionsrunde: »What considerations on climate ethics arise in artistic and curatorial work?« Moderation: Sara Walther

Im Rahmen der Diskussion tauschten sich die Teilnehmenden in kleinen Gruppen intensiv darüber aus, welche Überlegungen hinsichtlich Klima und den damit verbundenen ethischen Belangen aus der künstlerischen und kuratorischen Arbeit hervorgehen – oder hervorgehen müssten.

Unter der Moderation von Sara Walther wurde die Session durch zwei zentrale Diskussionspunkte strukturiert:

  • Was können und sollten Künstler*innen und Kurator*innen tun?
    • Mit welchen Herausforderungen sind wir dabei konfrontiert?
    • Welche Verantwortungen haben wir dabei?
  • Wie kann eine klimabewusste und ethische künstlerische Praxis in der zeitgenössischen Musik aussehen?
    • Was muss sich dafür andern, und wie kann das gehen?
    • Wie sehen die Utopien und Wünsche der Teilnehmenden aus?

Die angeregten Diskussionen in den wechselnden Kleingruppen führten zu einer Präsentation der Ergebnisse, die durch weiterführende, teils grundlegende Fragestellungen ergänzt wurden:

  • Künstler*innen und Kurator*innen können als Vermittler*innen in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel wirken, Bewusstsein schaffen und Reflexion anregen. Daraus ergibt sich die ethische Verpflichtung, durch ihre Arbeit zu informieren, zum Nachdenken anzustoßen und zu Veränderungen zu inspirieren. Dabei sollte eine globale Perspektive ebenso berücksichtigt werden wie ein kooperatives Miteinander aller Akteur*innen.
  • Es gilt, die eigene Praxis kritisch zu hinterfragen, um sicherzustellen, dass sie nachhaltigen und ethischen Standards entspricht, beispielsweise durch die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks bei Ausstellungen, Aufführungen und der Materialwahl.
  • Besitzt die Künstler*innen-Community überhaupt das notwendige Wissen, um Entscheidungen zu klimarelevanten Themen zu treffen?
  • Welche Handlungsspielräume besitzt die Künstler*innen-Community?
  • Zwar bleibt der Einfluss Einzelner begrenzt, doch kleine Schritte und Initiativen können bereits Veränderungen anstoßen. Dabei müssen jedoch bestehende Machtstrukturen kritisch reflektiert und hinterfragt werden.
  • Um tatsächlich Veränderungen bewirken zu können, bedarf es einer Stärkung der kreativen Gewerke. Diese spielen eine wichtige Rolle als demokratische Stütze, auch wenn sie oft unterschätzt oder unzureichend gefördert werden.
  • Künstler*innen und Kurator*innen müssen informiert und engagiert sein, um wirksam Einfluss nehmen zu können. 
  • Auch im alltäglichen Praxisbetrieb sind Kooperationen mit Veranstaltungsorten essenziell. So könnten beispielsweise gezielte Hör-Situationen während Konzertpausen in großen Häusern geschaffen werden, um den Klimawandel und dessen künstlerische Reflexion zu thematisieren.
  • Bestehende institutionelle Rahmenbedingungen, Finanzierungssysteme und Machtstrukturen können die Umsetzung klimabewusster Ansätze erschweren. Diese Strukturen müssen überprüft und neu gedacht werden, um eine nachhaltige Praxis zu ermöglichen.
  • Klimaethik in der Kunst erfordert Zusammenarbeit mit verschiedenen Gemeinschaften, insbesondere jenen, die von der Klimakrise am stärksten betroffen sind. Dazu gehört, inklusive Räume für Dialoge zu schaffen und globale Perspektiven in künstlerische Narrative einzubinden.
  • Eine ethische Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen beinhaltet die Förderung von Resilienz durch Bildungsinitiativen. Musik- und Kunstunterricht, der ökologische Themen integriert, kann junge Menschen darauf vorbereiten, kreativ auf die Klimakrise zu reagieren. Die Einführung eines flächendeckenden Musikunterrichts als Instrument zur Förderung der Resilienz jüngerer Generationen.
  • Kunst hat das Potenzial, alternative Zukünfte zu entwerfen und den Status quo infrage zu stellen. Künstler*innen und Kurator*innen sollten diese Kraft nutzen, um Utopien zu entwickeln, Lösungsansätze zu erkunden und unsichere Praktiken zu hinterfragen. So können sie das Publikum dazu inspirieren, sich eine nachhaltigere Welt vorzustellen.
  • Durch die Auseinandersetzung mit diesen Aspekten können künstlerische und kuratorische Tätigkeiten einen bedeutenden Beitrag zur ethischen Diskussion über den Klimawandel leisten und kollektive Handlungsmöglichkeiten fördern.

Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Kunst und ihrer Akteur*innen im Umgang mit der Klimakrise, sowohl als Reflexionsraum als auch als Motor für gesellschaftlichen Wandel.

Förderpanel
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Panel-Diskussion: »Navigating Music Funding with Sustainable Practices«. Mit Sophie Aumüller (Impuls neue Musik), Sebastian Brünger (Kulturstiftung des Bundes), Björn Gottstein (Ernst von Siemens Musikstiftung), Gregor Hotz (Musikfonds) und Reimar Volker (Goethe-Institut). Moderation: Lisa Benjes (inm / field notes)

Im großen und prominent besetzten Abschluss-Panel wurde ein Thema besprochen, ohne das zahlreiche künstlerische Projekte gar nicht möglich wären: finanzielle Förderung. Es ging um die Frage, wie Förderorganisationen ihre Strategien anpassen können, um Nachhaltigkeit im Bereich der zeitgenössischen Musik und Klangkunst zu fördern. Die Teilnehmenden waren ausdrücklich eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen und ihre Anliegen anzusprechen. Anwesen waren: Sophie Aumüller (Impuls neue Musik), Sebastian Brünger (Kulturstiftung des Bundes), Björn Gottstein (Ernst von Siemens Musikstiftung), Gregor Hotz (Musikfonds) und Reimar Volker (Goethe-Institut). 

Alle beteiligten Förderinstitutionen sind Teil eines losen Netzwerks, das auf der ersten »Time to Listen«-Konferenz 2022 entstand. Damals beschäftigte sich eine der Diskussionsgruppen mit den Themen Nachhaltigkeit und Förderung, woraus sich im Anschluss eine Arbeitsgruppe formierte, der sich immer mehr Einrichtungen anschlossen. Seitdem treffen sich die genannten Förderorganisationen in unregelmäßigen Abständen, um darüber zu sprechen, wie sie als Organisationen selbst nachhaltiger werden können, wie sie dieses Thema in der Szene voranbringen und wie sie sich in diesen Bemühungen besser vernetzen können.

Sebastian Brünger von der Kulturstiftung des Bundes machte die Herangehensweise seiner Organisation deutlich: Die Initiative „Über Lebenskunst“ geht zwar auf das Jahr 2010 zurück – ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem HKW über zwei Jahre, das Aktivitäten in der Stadt Berlin, ein Festival und eine Veranstaltungsreihe um alternative Lebensformen beinhaltete. Dann passierte erst einmal ein paar Jahre nicht besonders viel in Bezug auf Nachhaltigkeit. Allerdings erhielt die KSB 2012 das EU-Zertifikat EMAS für nachhaltiges Management, was verlangt, dass die Organisation regelmäßige Umweltprüfungen durchläuft und ihre Umweltpraktiken stetig verbessert. Ziel ist die Klimaneutralität bis 2030. Das bundesweite Pilotprojekt »Carbon Footprinting in Kultureinrichtungen« unterstützt 19 Kultureinrichtungen bei der Messung ihrer CO₂-Emissionen und das Förderprogramm Zero verfolgt ein ähnliches Ziel, indem es Kreative dazu anregt, Wege für die klimaneutrale Umsetzung von Kunstprojekten zu entwickeln. Das Ziel bis 2030 komplett klimaneutral agieren zu wollen, hat auch Auswirkungen auf den Förderprozess: Bestimmte Dinge, wie innerdeutsche Flüge beispielsweise, werden bereits heute von der Förderung ausgeschlossen. Bei internationalen Projekten, die die KSB auch fördert, ist ein generelles Flugverbot aber wiederum nicht so leicht. Hier muss immer genau abgewogen werden, sagte Brünger.

Aus dem Publikum wurde die Frage gestellt, wie unter der Prämisse klimaneutraler Förderung kollaborative Projekte zwischen dem »Globalen Süden« und »Globalen Norden« künftig überhaupt noch gefördert werden könnten – der »Globalen Süden« habe dabei schlichtweg stets das Nachsehen. Reimar Volker vom Goethe-Institut wies darauf hin, dass seine Institution diesem Aspekt bereits Rechnung trage, insbesondere durch den »International Coproduction Fund (IKF)«.

In Bezug auf die bevorstehenden Kürzungen in den Bundesfonds, machte Gregor Hotz vom Musikfonds e.V. den Teilnehmenden wenig Hoffnung auf eine perspektivische Verbesserung der aktuellen Lage: Das Geld werde weniger, gab er zu Protokoll. Der Musikfonds ist mit starken Kürzungen konfrontiert. Er fällt von 5,25 Mill. Euro im Jahr 2024 auf 2,9 Mill. im Jahr 2025. Die Bundesfonds erwarten für die kommenden Jahre keine besseren Bedingungen, also keine wachsenden Budgets. Beim Musikfonds werden in der Projektförderung aktuell rund 10 % der eingehenden Anträge gefördert. Je weniger Geld für ein konkretes Projekt beantragt werde, desto größer die Chancen auf Förderung. Das habe Auswirkungen auf die künstlerische Perspektive. Ob sich diese Quote aufrechterhalten lässt, wird die Zeit zeigen. Auch bei der KSB werden weitere Budget-Kürzungen erwartet.

Auf die Frage, wie auf die Kritik reagiert wird, dass Fördermittel zunehmend an politische Aspekte geknüpft sind? Wie sieht es zum Beispiel mit rein musikalischen Projekten aus, die per se keinen politischen bzw. diskursiven Ansatz in sich tragen? Natürlich seien gesellschaftspolitische Dimensionen von Projekten auch immer Teil der Entscheidungsfindung, sagte Gregor Hotz vom Musikfonds. Letztendlich würden alle eingereichten Projekte aber gleichberechtigt begutachtet. Auch »einfach schöne Klaviermusik« werde gefördert, wenn sie die Jury überzeugt, sagte Hotz.

Björn Gottstein von der Ernst von Siemens Musikstiftung berichtete, dass ökologische Nachhaltigkeit in der Bewertung und bei der Förderung von Projekten bislang noch keine größere Rolle einnehme. Der Gang durch dir internen Institutionen bei der Bewilligung von Fördergeldern dauere einfach zu lang. Gottstein animierte die Teilnehmenden dazu, immer wieder nachzuhaken: »Wir brauchen den Druck von außen«.

La bestia
© Stefanie Kulisch

Das Symposium wurde von zwei Programmpunkten begleitet, die die Teilnehmenden während der gesamten zwei Tage erkunden konnten.

Álvaro G. Díaz-Rodríguez: »The soundscape in the migratory path of The Beast in Mexico« (Klanginstallation)

Der Musikwissenschaftler und Klangkünstler Álvaro G. Díaz-Rodríguez präsentierte seine videogestützte Klanginstallation »The soundscape in the migratory path of The Beast in Mexico«. Als »The Beast« (»La Bestia«) werden in Mexiko die Güterzüge bezeichnet, die das Land auf rund 5.000 Kilometern von Süden nach Norden durchqueren und von Migranten aus Ländern wie Guatemala, Venezuela und Nicaragua auf dem Weg in die USA als Transportmittel nutzen. Rodríguez’ dokumentiert in seiner Installation die so entstehende Klangwelt: die Unterhaltungen der Flüchtenden, die zu hörenden Soundscapes der zahlreichen Haltepunkte der Züge an unterschiedlichen Orten Mexikos und die sich damit verändernden sonischen Bedingungen.

karen power
© Stefanie Kulisch

Sound Booth

In der Sound Booth konnten die Teilnehmenden in drei ganz unterschiedliche Projekte eintauchen: Elsa M'bala bot einen Einblick in ihr Projekt »Ass Niang Collection«, in dem sie die Musikgeschichte des afrikanischen Kontinents seit den 1960er-Jahren dokumentiert – mit einer Tape-Sammlung, die ihr der senegalesische Sammler Ass Niang vermacht hat. Die irische Komponistin Karen Power präsentierte neue unbearbeitete Field Recordings für ihr Projekt »arctic ice speaks through time«, die sie im August 2024 in der Arktis gemacht hat – über, im und unter dem ewigen Eis. Und die Hörbeispiele von »Futures of Listening – Curating Water Knowledge« konkretisierten das gleichnamige umfangreiche Projekt, das während des Symposiums auch in einem Workshop vorgestellt wurde. Sechs Aufnahmen aus Indonesien veranschaulichten, wie die Präsenz oder Abwesenheit von Wasser auf die Umwelt und deren klangliche Wahrnehmung wirkt.