30 Jahre Unerhörte Musik: Interview mit Rainer Rubbert und Martin Daske

field notes #10

1. Januar 2019 | Redaktion

Musiker auf hinter Notenständer.
©Unerhörte-Musik

Die Unerhörte Musik ist Deutschlands erste (und war bis vor Kurzem auch einzige) wöchentliche Konzertreihe für Neue Musik. Seit nun 30 Jahren präsentiert sie Programme mit Schwerpunkt auf Musik des ausgehenden 20. und 21. Jahrhunderts. Obwohl die Reihe in erster Linie ein Podium für die in Berlin ansässigen professionellen Musiker*innen ist, sind im BKA-Theater regelmäßig namhafte Ensembles aus dem In- und Ausland. So ist die Reihe die Schnittstelle für die gesamte Berliner Neue-Musik-Szene: für Interpret*innen, Komponist*innen, neu in Berlin ankommende Musiker*innen und das musikinteressierte Publikum gleichermaßen.

field notes unternimmt mit den beiden Initiatoren und Künstlerischen Leitern Rainer Rubbert und Martin Daske anlässlich des Geburtstags einen kleinen Rückblick.

field notes: Als Eure Konzertreihe im Februar 1989 begann, ahnte man noch nichts vom Fall der Mauer. Die besondere Situation der Stadt zog zahlreiche (Lebens-)Künstler*innen nach West-Berlin, die hier ein freies Experimentierfeld vorfanden. Könnt Ihr die Stimmung beschreiben, aus der die Konzertreihe geboren ist?

Unerhörte Musik: Es waren Jahre des Aufbruchs; eine neue Generation von Musiker*innen, die sich intensiv und professionell mit der Neuen Musik beschäftigte, stand in den Startlöchern – was fehlte, war ein Podium und eine Spielstätte außerhalb des verkrusteten bürgerlichen Musikbetriebes...

field notes: Wie können wir uns Eurer allererstes Konzert vorstellen?

Unerhörte Musik: Das war ein Spagat… Einerseits wollten wir die »jungen Wilden« berücksichtigen, anderseits gab von Seiten der Kulturverwaltung sanften Druck, das Publikum nicht zu verschrecken. So kam es, dass sich das ganz junge Extrem-Quartett und das – damals auch noch junge – Scharoun Ensemble den Abend teilten.

field notes: Welche Konzerte sind Euch besonders in Erinnerung geblieben?

Unerhörte Musik: Jeffrey Burns spielte z.B. in einem der frühen Konzerte die Erstaufführung des 1. Bandes der Ligeti-Etüden, Markus Stockhausen trompetete meisterhaft, das Saxophonquartett clair-obscur lud mehrmals Quartette aus anderen europäischen Städten dazu … und sowieso gab es diverse Debütkonzerte der inzwischen namhaften Berliner Ensembles. Es sind ja inzwischen über 1.200 Konzerte gewesen...

field notes: Eure Bühne ist für viele junge Komponist*innen ein Forum, ihre Werke einem interessierten Publikum vorzustellen. Welche Komponist*innen habt ihr von Anfang an begleitet?

Unerhörte Musik: Darunter waren Peter Ablinger, Birgit Havenstein, Conrado del Rosario, Konstantia Gourzi, Ulrich Krieger, Brett Dean, Mayako Kubo, Sidney Corbett und von den jüngeren Johannes Kreidler, Sarah Nemtsov, Enno Poppe, Neo Hülcker und viele andere; nicht zu vergessen schon bald nach der Wende Georg Katzer, Helmut Zapf, Hoyer/Stelzenbach und viele mehr...

field notes: Bei Euch spielt und trifft sich die gesamte Berliner Neue Musik Szene. Was hat sich in den letzten drei Jahrzehnten am deutlichsten verändert?

Unerhörte Musik: Zunächst gab es von Zeit zu Zeit noch Werke aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts, das haben wir aber schnell eingeschränkt. Mit der zunehmenden Anzahl der in Berlin tätigen Komponist*innen und der rasanten Repertoirebildung der Musiker*innen und Ensembles konnten wir uns erlauben, die Reihe ausschließlich auf das aktuelle Musikschaffen zu fokussieren. Hinzu kommt die unglaublich schnelle technologische Entwicklung der letzten Jahrzehnte, sodass immer mehr Werke die neuen Medien miteinbeziehen.

field notes: Gibt es Konzerte von damals, die heute nicht mehr stattfinden könnten? Warum?

Unerhörte Musik: Zu Beginn gab es auch Konzerte mit neuer improvisierter Musik, die damals gar kein Podium hatte; das hat sich ja zum Glück verändert!

field notes: Neue Musik genießt den Ruf – positiv formuliert – in sehr intimen Rahmen vor einem exklusiven Publikumskreis gespielt zu werden. Eure Reihe zieht seit 30 Jahren allerdings konstant Publikum – und das jede Woche. Hat die Unerhörte Musik einen Teil dazu beigetragen, dass die Neue Musik sehr wohl Erhörte Musik wird?

Unerhörte Musik: Das möchten wir mit Stolz behaupten!

field notes: Wie gelingt es Euch, nach dreißig Jahren Neuer Musik noch neu zu bleiben?

Unerhörte Musik: Es sind ja nicht wir, die neu sein müssen, sondern die Musik (lachen!)...

field notes: Was habt Ihr Euch für das Jubiläum überlegt?

Unerhörte Musik: Das Modern Art Ensemble hat sich zu unserem 250. Konzert vor 25 Jahren mit einem spektakulären Haiku-Konzert (mit 29 Uraufführungen!) gegründet. Zum Jubiläum gibt es nun am 5. Februar »Haiku reloaded«!

field notes: Was macht die Unerhörte Musik 2049?

Unerhörte Musik: Es gibt sie weiterhin. Aber ohne uns … allenfalls als Zuhörer mit Rollator (lachen laut).

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