Das New Yorker Quartett Yarn/Wire mit der ungewöhnlichen Besetzung aus zwei Pianistinnen (Laura Barger, Julia Den Boer) und zwei Perkussionist*innen (Russell Greenberg, Sae Hashimoto) startete 2005 als Studierendenensemble an der Stony Brook University. Heute, ganze 20 Jahre später, kann das Ensemble auf unzählige Zusammenarbeiten mit namhaften Komponist*innen wie Annea Lockwood, Enno Poppe, George Lewis, Ann Cleare oder Thomas Meadowcroft zurückblicken, es ist fester Bestandteil des internationalen Festivalkarussells und verfügt über einen festen Proberaum in Brooklyn, was in New York noch weniger selbst verständlich ist als in Berlin. Im Laufe der Jahre hat sich die Besetzung zwar verändert, doch eines ist gleichgeblieben: der ungebrochene Wille, neue Wege des Musizierens zu beschreiten und sich als Gruppe immer wieder die Fragen zu stellen: »Können wir das jetzt ausprobieren? Können wir das zusammen machen?«
In den Anfangsjahren war das Repertoire für die Besetzung naturgemäß ziemlich überschaubar. Seitdem hat das Ensemble mit zahlreichen Auftragswerken ein umfangreiches Repertoire aufgebaut, das die Grenzen dessen abtastet, was diese besondere Besetzung bedeuten kann. Viele der Werke sind im Rahmen der selbstproduzierten Konzertreihe »Yarn/Wire Currents« entstanden, die aufstrebende Komponist*innen einlädt, für das Ensemble zu schreiben. Nach der Devise »Hier ist das Studio, hier sind unsere Instrumente, hier sind wir« lässt das Ensemble den Komponist*innen größtmögliche Freiheit. »Manche bleiben bei der traditionelleren Kombination aus Klavier und Schlagzeug«, erklärt die Pianistin Julia Den Boer, »aber immer mehr entscheiden sich dafür, zu erweitern, was das bedeutet.« Pianist*innen greifen zu kleinen Schlaginstrumenten, während Schlagzeuger*innen mit Techniken im Inneren des Klaviers experimentieren. Und manchmal spielen sie ganz andere Instrumente.
So auch bei Jad Atouis Stück »In Memory«, das bei MaerzMusik aufgeführt wird. Der in Beirut lebende Klang- und Improvisationskünstler hat Motoren und Nadeln aus alten Festplatten in Instrumente verwandelt. In einem zyklischen Prozess von Aufnahme und Wiedergabe formen und manipulieren die Musiker*innen die Klänge, die sie selbst erzeugen, mit einer Vielzahl an Techniken.
Das auf das Wesentliche zurückgeworfen sein, wenn alle ihnen unvertraute Instrumente spielen, ist für Den Boer eng mit grundlegenden Fragen des gemeinsamen Musizierens verknüpft: »Es lässt mich viel darüber nachdenken, was Kammermusik wirklich bedeutet. Was heißt es, zusammen zu spielen? Wie lernen wir, als Gruppe mit diesem neuen Instrument zu interagieren?« Dieses kollektive Lernen schafft intensive Prozesse, die tiefgehende Einsichten und ein neues Verständnis von musikalischer Zusammenarbeit eröffnen.
Die Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der für sie komponierten Werke ist dem Ensemble ein wichtiges Anliegen: »Es gibt so viel Aufregung um Uraufführungen, aber sie sind nicht immer die besten Aufführungen«, sagt Den Boer. »Wir geben diese Stücke für die Reihe in Auftrag und versuchen dann, wirklich mit ihnen zu leben. Sie wieder aufzugreifen, lässt beide wachsen: die Stücke und uns.«
Seit einigen Jahren widmet sich das Ensemble zudem verstärkt der Improvisation und hat mittlerweile eine eigene Sprache und Systeme entwickelt, die sie in Projekten mit keinen geringeren als dem Trompeter Peter Evans, der Saxophonistin Ingrid Laubrock oder dem Multiinstrumentalisten Tyshawn Sorey erforscht haben. In der Zusammenarbeit kommt es ihnen auf die Gegenseitigkeit an: »Das war ein echter Versuch von uns, unsere Grenzen zu erweitern und auch Künstler*innen, die wir bewundern, einzuladen, um auch deren Grenzen zu hinterfragen«, so Den Boer.
Im Rahmen der MaerzMusik wird Yarn/Wire ein Programm präsentieren, das ausschließlich aus Kompositionen besteht, die eigens für das Ensemble geschrieben wurden. Es umfasst unter anderem ein Werk von Catherine Lamb, die für ihre langsamen, sich räumlich entfaltende Stücke bekannt ist. Für »Curvo Totalitas« verwenden die Musiker*innen kleine Synthesizer und bearbeiten gefilterte Teiltöne der Schlagzeugaufnahmen, was das Stück zu einem intensiven klanglichen Erlebnis macht. Die Technik basiert auf Lambs Arbeit mit reiner Stimmung, auch Just Intonation genannt. Auch das Stück von Sarah Davachi fordert und vertieft die räumliche Wahrnehmung der Zuhörer*innen durch seine langanhaltende und massive Klangentwicklung und die Verwendung von Gongs und Resonanzklavieren. Clara Iannottas Stück »glass and stone«, das in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Intercontemporain entstanden ist, ist ein multimediales, sehr persönliches Werk, das die Beziehung der Komponistin zu ihrer 2023 verstorbenen Mutter verhandelt – ein technisch wie emotional anspruchsvolles Werk.
Das Ensemble freut sich auf das Konzert in Berlin. Nicht nur weil die Stadt die Wahlheimat von zwei Komponistinnen auf dem Programm ist (Lamb und Iannotta). Berlin ist für das Ensemble auch eine Stadt, die für eine experimentelle und offene Musikszene steht und sich dadurch mit der großen Spiel- und Experimentierfreude verbindet, die das Ensemble selbst sich über die Jahre bewahrt hat.