»How did it feel to listen to the others’ dream sound?«

Das Splitter Orchester im Portrait

30. April 2025 | Lisa Nolte

Gruppenbild
©Uta Neumann

Seit 15 Jahren improvisiert das Berliner Splitter Orchester im Großverband. Dabei steht immer die Frage im Raum, wie die Vielfalt von Stimmen, die seine Musiker*innen einbringen, eine gemeinsame Ebene schaffen kann. field notes Redakteurin Lisa Nolte hat das Orchester bei einer Probe besucht und die Mitglieder Burkhard Beins und Emilio Gordoa zum Gespräch getroffen.

15 Minuten Improvisation. Keine Absprachen, keine Leitung. So beginnt das Splitter Orchester seine monatliche Montagsprobe. Danach können Ideen der Mitglieder ausprobiert werden. Sie alle gehen ein in das »Book of Exercises«, eine Sammlung von Improvisationsübungen, die die Gruppe über die Jahre zusammengetragen hat. An diesem Montag Ende Februar haben sich 13 der 20 Musiker*innen des Orchesters im angestammten Probenort, dem Club ausland in Prenzlauer Berg, zusammengefunden. Heute hat die Elektronikerin Marta Zapparoli eine Übung mitgebracht, die sie »Collective Dream Sound Exploration – Dedicated to Splitter’s collective conciousness« überschrieben hat. Dazu gab es Hausaufgaben: Jedes Mitglied sollte einen Traum aus der letzten Nacht mitbringen. Die Musiker*innen beginnen mit der Übung. Zapparoli hat ihnen dafür Instruktionen an die Hand gegeben wie »Quietly reflect on a sound you imagine to deeply represent your dream—something abstract or fantastical.«, »Your should imagine the sound, feel how it moves through your mind, body, and space.« oder »Explore the gesture of the sound: How does it feel to play it?«

»Solche Anweisung, die die Polyphonie von Ansätzen aktivieren, die es bei unseren Musiker*innen gibt, funktionieren am besten für das Splitter Orchester«, sagt Burkhard Beins, Schlagzeuger und Gründungsmitglied des Orchesters später. »Wir haben auch mit Komponist*innen gearbeitet, die aus der traditionellen notierten Musik kommen, aber das hat oft nicht so gut funktioniert, weil die Strukturen und die Dramaturgie zu starr waren. Es gibt zum Beispiel das Orchesterstück ›doppelt bejaht‹ von Mathias Spahlinger, das er für die Donaueschinger Musiktage geschrieben hat. Das untersucht das Spannungsfeld zwischen Struktur und Improvisation. Er wollte es darum nochmal mit uns als einem Improvisationsorchester ausprobieren. Aber sein Stück war darauf angelegt, das Verhalten von Orchestermusiker*innen zu unterwandern, und wir funktionieren nicht wie ein traditionelles Orchester. Für sein Stück waren wir einfach zu erfahren im Improvisieren.«

Auf die Art von Aktivierung, in der die sehr unterschiedlichen Stimmen des Spitter Orchesters gemeinsam zum Tragen kommen, zielt auch eine neue Konzertreihe ab, die für die Saison 2025/26 geplant ist: »Site Specific 2025« führt in die Kuppelhalle des silent green Kulturquartier, den Kleinen Wasserspeicher, den KulturRaum Zwingli-Kirche und in eine ehemalige Rossmann-filiale. Derart unterschiedliche Orte kommen dem Orchester entgegen: Eine klassische Bühnensituation, in der sich andere Ensembles in zwei Reihen hintereinander aufstellen, ist für Splitter schon aus rein praktischen Gründen nicht ideal. Um miteinander improvisieren zu können, müssen alle Musiker*innen einander möglichst gut hören können. Die räumliche Anordnung sei darum eine Grundfrage, mit der sich die Formation bei jed- er Aufführung beschäftige, so Beins. »Und daran schließen sich direkt Fragen nach dem Licht oder der Bewegung im Raum an. Wir haben darum Künstler*innen eingeladen wie Michael Vorfeld, einen Musiker und Künstler, der mit Licht arbeitet. Oder Yuko Kaseki, eine Choreografin und Tänzerin, und das Kollektiv Sonoscopia, das mit selbst entworfenen Musikmaschinen eher installativ arbeitet. Sie gestalten mit uns die Konzerte. Wir suchen als Gruppe solche Anreize von außen, die uns herausfordern.«

Und solchen äußeren Anreizen stellt sich das Splitter Orchester nicht nur in Hinblick auf die Vorbereitung eines konkreten Konzerts. Für die nächsten zwei Jahre begibt sich die Gruppe in einen internen Prozess, in dem sie sich selbst unter die Lupe nehmen und genauer verstehen will, was die Funktionsweisen und Möglichkeiten eines Organismus wie ihrem sind. Dazu ziehen sie sogar Expert*innen aus Biologie oder Soziologie für Anregungen herbei. Auslöser für diesen Prozess waren aktuelle Konflikte der Weltpolitik die weit in das Ensemble hineinreichten und einen Dissens auslösten, der die Musiker*innen plötzlich vor die Frage stellte: »Wie selbstverständlich sind die Grundsätze, von denen wir stillschweigend ausgehen? Sind meine Grundsätze dieselben wie die meiner Mitmusiker*innen? Und wenn nicht: Was bedeutet das für unsere gemeinsame Arbeit?« Emilio Gordoa, ebenfalls Schlagzeuger und eines der neueren Mitglieder des Orchesters beschreibt die Herausforderung so: »Wo ich herkomme, kann man in einer Gruppe lautstark drei Gespräche parallel führen und bekommt trotzdem alles mit. Bei Splitter funktioniert das so nicht. Es gibt Instrumente, die von Natur aus leiser sind, andere lauter. So ist das auch mit den Stimmen in der Gruppe. Damit wir zusammen gut funktionieren, muss jede Stimme ihren Raum bekommen und es ist ein fortlaufender Prozess, herauszufinden, wie das möglich ist.«

»Aber bei aller Bereitschaft zur Auseinandersetzung lässt sich nicht immer alles harmonisch auflösen. Einige Musiker*innen sind infolge dieses Konflikts aus dem Splitter Orchester ausgetreten«, räumt Beins ein. Doch auch zuvor haben immer wieder Mitglieder die Formation aus ganz unterschiedlichen Gründen verlassen und es wurden neue eingeladen. So ergab sich über die Jahre ein langsamer, aber stetiger Erneuerungsprozess, durch den die Gruppe den Kontakt und die Durchlässigkeit zur Echtzeitmusikszene aufrecht erhalten hat. Mit der Suche nach neuen Mitgliedern will sich die Gruppe jedoch die nötige Zeit lassen. Zuerst wird überlegt, was fehlt: welches Instrument, welches Alter, wie sieht es mit der Gender-Balance aus? Dann können alle Mitglieder Vorschläge machen und entschieden wird in einem mehrstufigen Wahlverfahren. Vor allem ist es dabei wichtig, die Heterogenität der Stimmen beizubehalten, auf die die Gründer*innen des Orchesters, Clayton Thomas, Clare Cooper und Gregor Hotz, bei der Zusammenstellung des Orchesters im Jahr 2010 besonderen Wert legten.

15 Jahre Splitter Orchester. Eine Jubiläumsveranstaltung war kurzzeitig angedacht, aber auch damit will man sich nicht unter Druck setzen. »Es ist am wichtigsten, dass wir uns jetzt erstmal wieder solide aufstellen«, so Gordoa. »Mit der neuen Konzertreihe und den internen Prozessen gibt es genug zu tun«, ergänzt Beins. »Vielleicht feiern wir 2026.«

»What did you discover about your dream sound? How did it feel to listen to the others’ dream sound? Did the collective experience change the sound of your dream?« So endet die Montagsübung von Marta Zapparoli und ein weiteres Kapitel im »Book of Exercises«. 

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