Interview mit Manos Tsangaris

field notes #12

1. Mai 2019 | Redaktion, Manos Tsangaris

Portrait von Manos Tsangaris
©Inge Zimmermann

Manos Tsangaris, Komponist, Trommler und Installationskünstler, zählt zu den bedeutendsten Vertreter*innen des neuen Musiktheaters. Vom 18.–30. Mai lässt er mit seinem Stück »winzig und der Elefant« die Akademie der Künste am Hanseatenweg zur Bühne werden, von Halle 2 über das Café zum Verwaltungstrakt inklusive Fahrstuhl.

field notes: Vor dem Hintergrund, dass Du das gesamte Haus bespielst und die Serie auch in Deiner Karriere keine unwesentliche Rolle spielt, wirkt »winzig« wie eine grobe Untertreibung. Wie kommst Du zu dem Titel?

Manos Tsangaris: Die Publika sind vergleichsweise klein. So gibt es beispielsweise ein Stück im Aufzug, bei dem das Publikum in der Ursprungsversion wirklich nur aus zwei Personen bestand. Damit soll kein Weltrekord in Kleinheit aufgestellt werden. Die Folge ist ja, dass die Position der jeweiligen Rezipient*innen sehr genau bespielt werden kann. Das Stück ist, was seine Dimensionierung, Raumrichtungen, Vektoren der Komposition und Inszenierung angeht, haarscharfgenau auf die Rezipient*innen hin gearbeitet.

field notes: Und wo ist der Elefant?

Manos Tsangaris: Es wird nur Mückenstücke geben.

field notes: Die Rezipient*innen erfahren bei Dir eine besondere Wertschätzung. Die Stücke sind maßgeschneidert und Du überlässt es den Besucher*innen, die Einzelteile zu einer Gesamtkomposition zusammenzufügen. Welche Rolle spielt die Rezeption in der Arbeit?

Manos Tsangaris: Jedes Stück von »winzig« steht für eine eigene Rezeptionsperspektive. Du hast ein Stück, wo Du durch einen Spion auf so einen Bauch als Landschaft guckst. Ein anderes, wo Du vor der Szene sitzt und ein wieder anderes mit einem Guckkasten en miniature. So werden Blickwinkel und Zugangsweisen auf und in Situationen durchdekliniert.

field notes: Worum geht es bei dem von Dir oft verwendeten Begriff »Szenische Anthropologie«?

Manos Tsangaris: Pompöser Begriff, aber das hat gute Gründe. Die Menschenkunde wird sonst streng wissenschaftlich aufgefasst. Und hier sagen wir »szenisch«. »skené« im Griechischen heißt ursprünglich »Zelt«. Hier geht es um unsere Möglichkeiten, Situationen wahrzunehmen und zu untersuchen. »Szenische Anthropologie« heißt nichts anderes als Menschenkunde in Zelten.

field notes: Das Stück wurde 1993 uraufgeführt und seither für verschiedene Spielorte weiterentwickelt. Welche Elemente bleiben unangetastet und welche entstehen für jede Aufführung neu?

Manos Tsangaris: Zunächst sind es kleine Musiktheater- Miniaturen, die als Partitur im Prinzip unangetastet bleiben. Aber natürlich ändern sich die Umstände, die jeweiligen Häuser, die Übergangswege und der Kontext, der dadurch entsteht, dass sich dieses Molekül dreht und verschiebt.

field notes: Wie wählst Du die Häuser aus?

Manos Tsangaris: Bei der ersten Fassung hatte ich ein paar Stücke schon im Sinn und bei anderen habe ich auf den Ort, nämlich auf die Alte Feuerwache in Köln, reagiert. Der Ort sucht ein Stück und wenn das Stück geschrieben ist, sucht das Stück wieder Orte.

field notes: 26 Jahre später ist die Welt eine andere. Haben sich die zentralen Fragestellungen mit der Zeit verändert?

Manos Tsangaris: Diese Art von analogen und eben sehr kleinen Stücken habe ich als direkte Reaktion darauf geschrieben, als ich merkte, welchen Einfluss die Technologie auf unsere Wahrnehmung hat. Die Ritualisierung von Technologie, von Vervielfältigung und die Ritualisierung von Konzertformen – klassische oder Popkonzerte sind überall gleich konventionell – haben mich direkt dahin geführt, Dinge zu tun, die sich nicht mehr aus dem Kontext reißen lassen.

field notes: Du wurdest 2009 zum Mitglied der Akademie der Künste Berlin gewählt und 2012 zum Direktor der Sektion Musik. Begleitet Dich die Idee, »winzig« hier aufzuführen, schon lange?

Manos Tsangaris: Ich habe immer gedacht, dass ich in diesem Haus am Hanseatenweg gern mal Musiktheater aufführen würde, weil ich das Haus sehr mag. Ich gebe aber zu, dass ich nicht unbedingt nur an »winzig« gedacht habe. Das ist dann erst in der Zusammenarbeit in dem Projekt und mit den anderen Beteiligten entstanden. Das Haus schreit nach Stationentheater.

field notes: Den Rahmen bildet das Forschungslabor »Wo kommen wir hin« der Akademie der Künste. Was sollen wir uns darunter vorstellen?

Manos Tsangaris: (…) Wir finden das Haus so interessant und vielseitig und wollten es als Produktionsstätte verstehen. Karin Sander und Kathrin Röggla sind sofort eingestiegen. Außer der Prämisse, dass wir die Architektur als offene Situation nehmen, war das Vorhaben erstmal ergebnisoffen: »Wo kommen wir hin«, wenn die Künstler*innen machen, was sie wollen?

→ Akademie der Künste, Hanseatenweg
18. + 19. + 24. und 25.05.2019, Einlass ab 21.30 Uhr

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