Opposite Editorial: Moritz Lobeck und Brigitta Muntendorf

field notes #41

28. Februar 2025 | Moritz Lobeck und Brigitta Muntendorf

Moritz Lobeck und Brigitta Muntendorf
©Pia Henkel

Liebe Leser*innen,

was braucht es eigentlich, um in diesen Zeiten das Widersprüchliche auszuhalten? Um Unbestimmtheit und Stillstand Raum zu geben? Um sich tiefer mit sich selbst und der Welt auseinanderzusetzen, ohne dabei in einen pathologischen Zustand zu verfallen, der gelähmt als Resignation oder ideologisch-aktionistisch den Blick auf die Wirklichkeit versperrt?

Wir scheinen etwas verloren zu haben, von dem wir vielleicht gar nicht wissen, was es ist. Wir verspüren Trauer, von der wir vielleicht nicht einmal genau wissen, wem oder was sie gilt. Wir verlieren uns in »Melancholic Mood«, fühlen uns allein, wir klicken, scrollen und liken, wir sind »stuck on the platform« – ohne zu realisieren, dass es diese Plattformen sind, die unsere Traurigkeit gestalten. Wir sind »sad by design« (Geert Lovink).

Trauer, Wut, Angst – entscheidend ist der Umgang mit jener Angst, aus Wut und Trauer nicht herausfinden zu können. Müssen wir in der Angst bleiben, bis sie uns gehen lässt? Das ist schwer – vor allem dann, wenn es scheinbar keine kollektiven Räume für Trauer und Melancholie gibt.

Jede Musik ist Trauermusik, denn jede Musik kann ein Transportmittel für Trauer sein. Doch nicht jede Musik kann das Zuhören als Radical Listening, als einen politischen Akt des Publikums etablieren – ein Zuhören, das einer Stille im Kopf entspringt und sich radikal beim Anderen verortet, das sich unmittelbaren Wertungen entzieht und einen eigenen Wirkungsraum entwickeln kann.

Mit dem iranischen Musiker Saeid Shanbehzadeh, dem Internetaktivisten Geert Lovink und dem Ensemble Modern treffen im März in Berlin drei Positionen aufeinander, die zur Eröffnung von MaerzMusik, in der daadgalerie oder mit dem Vinyl-Release »MELENCOLIC MEDLEY« ganz verschiedene Räume für das Melancholische und radikales Zuhören eröffnen.

Das ist unser Impuls, unser »Hopecore«. Geht hin – aber geht unbedingt auch überall hin, zu allen Veranstaltungen, die in diesem field notes Magazin #41 gelistet sind! Seid neugierig, lasst Euch überraschen, irritieren, erlebt kollektives Hören, shared Frequencies!

– Moritz Lobeck und Brigitta Muntendorf

Brigitta Muntendorf arbeitet spartenübergreifend in instrumentalen, orchestralen und choralen Settings, entwickelt neue Konzepte des Radical Listening, des Environmental Storytelling und forscht künstlerisch zu 3D-Audio und AI-Voice-Cloning. Seit 2018 ist sie Professorin für Komposition an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Gemeinsam mit dem Kurator und Dramaturgen Moritz Lobeck hat sie 2022 für das Ensemble Modern und die Bregenzer Festspiele »MELENCOLIA« entwickelt. Lobeck leitet nach Stationen an der Staatsoper Stuttgart und bei den Wiener Festwochen aktuell die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik und das Programm für Musik und Media Arts in HELLERAU.

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field notes Magazin #41: März/April 2025

Diese Ausgabe beleuchtet, wie Musik auch über das Hören hinaus erfahrbar wird – von Konzertfotografie über Zeichnungen bis hin zu innovativen Ansätzen für Barrierefreiheit.