Opposite Editorial: Rabih Beaini
field notes #29
1. November 2022 | Rabih Beaini
1. November 2022 | Rabih Beaini
Liebe Leser*innen von field notes,
die Veränderung eines Systems stellt niemals einen abrupten Bruch, sondern vielmehr das Ergebnis einer Entwicklung dar. In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für globale und lokale Probleme gewachsen, die unweigerlich unsere Herangehensweise an Musik, Produktion, Reisen und den gesamten Lebensstil von Künstler*innen heutzutage beeinflussen.
Die zunehmende Präsenz von Musik aus nicht-westlichen Ländern verschiebt in den wohlhabenden Teilen der Welt das Gleichgewicht im Produktionsprozess. Musiker*innen aus Südostasien, Afrika und Südamerika führen jetzt das Geschehen auf den Bühnen an. Es geht nicht mehr um ihre Herkunft, nicht mehr um ihre Identität als Staatsangehörige »exotischer Länder«, sondern um sie als Schöpfer*innen ihrer eigenen Ausdrucksmittel. All dies eröffnete eine völlig neue Situation. Denn zuvor durchliefen sie die »Hype-Maschine« – ein System, das alles in Schubladen stopfte und sein Bestes tat, um sich von einem nicht-westlichen Narrativ abzugrenzen.
Neben all den Projekten der vergangenen Jahre gibt es auch in den nächsten zwei Monaten einige Beispiele für kollaborative Arbeiten, die diese neue Welle noch höher aufschäumen lassen: Bei der Experimentik #59 am 16. November im Tik Nord spielt Biliana Voutchkova zusammen mit Kiku Day und Ayako Kataoka, die ein kollaboratives Werk präsentieren. Am 26. und 27. November wird das Stück »TORPOR« von Laure Boer von sechs verschiedenen Musiker*innen im Morphine Raum aufgeführt. Und am 22. Dezember kehrt Outernational mit einer neuen Ausgabe unter dem Titel »EXT INC / REMEMBER ME« ins radialsystem zurück.
Diese Veranstaltungen sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie die Szene sich immer mehr auf die von mir beschriebenen Veränderungen einlässt. Es handelt sich nicht um einen Hype, sondern eine neue Revolution, die die nicht-westliche Musik in die Hypes der Gegenwart einbezieht. Ob Hip-Hop, Techno, Improvisation, zeitgenössische Musik oder welche Genres auch immer: Sie werden ab jetzt unwiderruflich von neuen Klängen, neuen Inspirationsquellen und neuen Perspektiven geprägt.
Ich freue mich darauf, Sie in dieser hybriden Zukunft zu sehen!
– Rabih Beaini
Rabih Beaini ist der Gründer des Labels Morphine Records sowie des neu eröffneten Morphine Raum in Kreuzberg, einem Community Space für die künstlerische Gemeinschaft in der Stadt und darüber hinaus.