Aus Ihren Beschreibungen wird deutlich, dass der thematische Rahmen von »Consider Listening« extrem weit gesteckt ist. Er reicht von Ökologie bis hin zur Diskriminierung. Wie ist die Entscheidung für diese Themenvielfalt gefallen? Warum nicht mehrere Ausstellungen zu den einzelnen Themen, die ja für sich schon wahnsinnig viel hergeben?
AH: Eigentlich ist die Ausstellung ziemlich scharf auf einen Punkt hin gedacht und zwar auf die Ambivalenz von künstlerischen Aussagen. Es geht darum, dass der erste Eindruck nicht unbedingt der richtige ist. Das zieht sich durch fast alle Arbeiten. Man muss sich mit ihnen befassen, um ihren Hintergrund zu verstehen.
Ich möchte das an der Arbeit »Black to Black» von Willem de Rooij exemplarisch erklären: Das ist eine gewebte Arbeit, die nicht bemalt ist, es ist wirklich nur der Stoff. Die Arbeit ist fast drei Meter lang und geht ganz langsam von einer schwarzen Fläche in eine braune Fläche über. Wenn man diese Arbeit politisch sieht, ist eigentlich ziemlich klar: Du kriegst nicht mit, was passiert, aber es gibt eine Entwicklung.
TB: Es geht auch um das Zeitnehmen. Zuhören heißt ja auch immer, sich Zeit zu nehmen.
Es werden momentan viele Versuche unternommen, wieder eine gemeinsame Basis zu finden, auf der man sich austauschen kann. Haben Sie eine Strategie in diesem Programm, wie Sie das navigieren, sodass es nicht zu verhärteten Fronten kommt, die dann nicht auflösbar sind?
AH: Wir versuchen grundsätzlich, konträre Positionen zu Wort kommen zu lassen. Zum Beispiel wird beim Gespräch zum Thema Antisemitismusklausel Monika Grütters dabei sein, die die Klausel verteidigt und der Jurist Peter Raue, der sagt, dass die gegen die Kunstfreiheit geht. Ich hoffe einfach, dass wir, wenn wir diese Diskussionen führen, Verhärtungen auflösen können. Ich glaube, wenn man wirklich offen auf die Leute zugeht und über diese Themen spricht, wird auch zugehört.
Wir haben keine Extreme in der Ausstellung. Das ist nicht das Thema. Das Thema ist: Setzen wir uns damit auseinander, dass es Extreme gibt und aus welchen Gründen! Ist es sinnvoll, rote Linien zu ziehen oder sind die vielleicht an einer falschen Stelle?
Ganz typisches Beispiel: Wenn man hier in Deutschland in einer Ausstellung eine Palästinenser-Flagge aufhängt, muss man, ganz zugespitzt formuliert, schon ein schriftliches Statement abgeben, dass man das eigentlich nicht so meint. Das ist auf der Biennale in Venedig völlig anders. Ich verstehe, dass es hier so ist, weil wir eine besondere Betroffenheit haben. Aber deswegen zu sagen, das darf nicht sein, ist wieder der falsche Weg, meine ich. In der Bildenden Kunst herrscht totale Unsicherheit und Angst davor, etwas falsch zu machen. Bei der Podiumsdiskussion zu dem Thema »Was darf noch kuratiert werden?« sind schon mehrere Leute abgesprungen, weil sie das doch nicht öffentlich besprechen wollten.
TB: Ich glaube, dass es in der Musik nicht so ist, weil die Musik etwas abstrakter ist. Natürlich weiß ich, dass es Absagen für Veranstaltungen gibt von Künstler*innen aus beiden Richtungen. Aber in unserem Bereich ist das Thema vom Programm her nicht so präsent. Allerdings kann man in Deutschland eigentlich fast nur scheitern, wenn man das Thema aufgreift. Alle, die es getan haben, sind darüber gestolpert. Das geht von der Ruhrtriennale bis zur Documenta. Ich wurde neulich bei einem Interview gefragt, was ich niemals programmieren würde. Da habe ich gesagt: Ich finde für mich keinen künstlerischen Weg, mich in diesen Konflikt einzubringen. Ich wüsste nicht, wie ich damit sinnvoll umgehen könnte.
AH: Wir haben eine Klangkunstarbeit zu dem Thema von dem israelisch-palästinensischen Künstlerinnenduo Ilit Azoulay und Maisoun Karaman. Sie heißt »Heart to Heart« und setzt sich mit Sprache auseinander. Sie verwendet einen Text von einer Philosophin, die sich mit dem Verhältnis zwischen Israel und Palästina auseinandersetzt, allerdings in einer unverständlichen Sprache gesprochen, weil sie ihre eigene Sprache dafür entwickelt hat.
Es kommen aber auch noch ganz andere Aspekte ins Spiel: Der Maler Magnus Plessen, der bei uns für eine Diskussion auf dem Podium sitzt, hatte eine Einladung zu einer Ausstellung in Tel Aviv und hat sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt: Mache ich das jetzt, in Zeiten des Krieges? Er hat im Endeffekt abgesagt.
Das Thema ist vielschichtig und ich will verschiedene Layer und Argumentationsketten zusammenbringen für einen offenen Austausch. Es geht nicht darum, das Gespräch in eine Richtung zu lenken.