Hella Dunger-Löper: »Kulturförderung darf nicht als Luxus verstanden werden!«

Freie Szene – Freier Fall?

1. September 2021 | Hella Dunger-Löper

Porträtaufnahme Hella Dunger-Löper
©Frank Donati

Als Präsidentin Landesmusikrat Berlin e.V. hat Hella Dunger-Löper erst kürzlich einen Aufruf veröffentlicht, in dem unter dem Titel »Wir.Sind.Kultur« ein Kulturfördergesetz für Berlin gefordert wird. In ihrem Statement für #FreieSzeneFreierFall unterstreicht sie die Wichtigkeit der dahinterstehenden Idee.

Was braucht die Kultur: neue Rahmenbedingungen! Ein Kulturfördergesetz für Berlin!

Kultur ist lebenswichtig – das war uns immer klar! Aber unter welchen Bedingungen sie entsteht, arbeitet und lebt, blieb dabei oft außen vor. Durch die Coronakrise hat das Bewusstsein für den gesellschaftlichen Stellenwert von Kultur und kultureller Teilhabe eine neue Bewertung erfahren. Viele Menschen haben festgestellt, dass ihnen etwas außerordentlich Wichtiges fehlt, wenn Konzerte und Amateurensembleproben nicht stattfinden, Theater, Museen und Clubs nicht geöffnet haben und ihr Angebot nicht – wie sonst ganz selbstverständlich – zur Verfügung steht. Gerade in Berlin ist Kultur eine Treiberin des Zusammenhalts der Gesellschaft und einer der Hauptgründe für die Attraktivität der Stadt. Kultur schafft – in Gestalt von Ensembles, Vereinen, Institutionen und Initiativen – auch nachhaltig soziale und öffentliche Räume, die für die Aktiven wie das Publikum auch Kontakt und Gemeinschaft, ja: Heimat bedeuten.

Auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben seit Beginn der Krise auf den Stellenwert von Kunst und Kultur für den Zusammenhalt der Gesellschaft hingewiesen. Hier seien nur der Bundespräsident erwähnt oder die Kanzlerin. Und damit haben sie natürlich auch die Sicherung der in diesem Feld arbeitenden Menschen angesprochen – implizit, manchmal auch explizit.

Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass eine Milliarde Euro für den Kultursektor bereitgestellt wurde, um Zusammenbrüche von Institutionen und Netzwerken zu verhindern. Auch die Unterstützung von Solo-Selbständigen wurde zumindest versucht. Diese Maßnahmen, ob sie nun als hinreichend oder marginal bewertet werden, unterstreichen, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erkannt worden ist. Zuletzt zeigte sich das an der Formulierung in der Novelle des Infektionsschutzgesetzes des Bundes, das Kunst und Kultur endlich nicht mehr als beliebiges Freizeitvergnügen einstuft.

Es ist jetzt allerdings höchste Zeit, für eine andere, bessere Zukunft zu planen und längerfristige Vorstellungen zu entwickeln, die verhindern, dass wir immer wieder in Diskussionen zurückfallen darüber, ob Kunst und Kultur systemrelevant sind, sobald eine Krisensituation eintritt. Kunst und Kultur müssen als Teil der Daseinsvorsorge begriffen werden und als solche auch abgesichert werden.

Kunst und Kultur sind in unserem föderalen System in erster Linie Landesangelegenheiten. Deshalb wollen wir auf Landesebene Rahmenbedingungen diskutieren, formulieren und etablieren, die Kunst und Kultur sowie kulturelle Teilhabe schützen, fördern und wachsen lassen, wie es in mehreren Landesverfassungen – so auch in der Berliner – schon angelegt ist.

Der logische nächste Schritt ist, soweit dies noch nicht der Fall ist wie etwa beim Denkmalschutz oder den Archiven, die gesetzliche Verankerung von Kunst und Kultur. Über die Ausgestaltung ist ein gesellschaftlicher Diskurs notwendig.

Der Landesmusikrat Berlin e.V. hat bereits vor längerer Zeit den Entwurf eines Musikfördergesetzes in Analogie zum Sportfördergesetz vorgestellt. Nach den heutigen Erfahrungen scheint ein Kulturfördergesetz, das Kunst und Kultur in seiner ganzen Breite erfasst, die bessere Alternative. Hier könnte eine Rahmengesetzgebung das Dach für schon bestehende Gesetze wie die oben erwähnten zum Denkmalschutz und zum Archivwesen und künftige, wie ein Bibliotheks-, Weiterbildungs- oder ein Musikfördergesetz, sein.

Ziel ist in jedem Falle: Kunst- und Kulturförderung darf nicht als Luxus verstanden werden, den man sich in guten Zeiten leistet, sondern muss in Zukunft ein Anspruch sein.

In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits seit dem Jahr 2014 ein Kulturfördergesetz, das jetzt nach guten Erfahrungen novelliert und erweitert wird. Auch in Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen wird intensiv daran gearbeitet.

Wenn man sich grob an Nordrhein-Westfalen orientiert, könnte ein erster Entwurf für Berlin folgende Elemente enthalten:

Abgeleitet aus Art. 20. Absatz 2 der Landesverfassung muss der gesellschaftliche Stellenwert von Kunst und Kultur in einem Gesetz ausgestaltet werden. Verbunden ist damit das Ziel der Herstellung stärkerer Transparenz, Verlässlichkeit und Beteiligung durch einen regelmäßigen und verbindlichen öffentlichen und parlamentarischen Diskurs über Kunst und Kultur. Dies kann durch die Vereinbarung regelmäßiger Planung und Berichterstattung, die in einen partizipativen Prozess eingebettet ist, erreicht werden.

Hier sollte auch eine Verständigung über den Kulturbegriff Platz finden, der durch Breite und Integration als »Kultur für alle« gekennzeichnet ist und Kunst, Kultur und Wissenschaft in ihrer Freiheit und auch als gesellschaftlichen Denkraum versteht. Gleichzeitig darf die Förderung von Kunst und Kultur und die Teilhabe aller an Kultur nicht als freiwillige Aufgabe gelten, sondern muss in den Rang der Daseinsvorsorge gestellt werden.

Wichtige Inhalte sind eine Förderung von professionellen Künstler*innen und Amateur*innen sowie eine Grundfinanzierung, die gesicherte Rahmenbedingungen schafft.

Außerdem ist die Schaffung eines kostenlosen Zugangs zu öffentlichen Räumen, wie sie im Berliner Sportförderungsgesetz verankert ist, notwendig. Bei der Entwicklung neuer Quartiere muss die kulturelle Infrastruktur, der »Dritte Ort«, von vornherein verbindlich vorgesehen werden.

Über ein derartiges Kulturfördergesetz für Berlin, das sicher weit über Berlin hinaus interessiert, möchten wir mit möglichst vielen Menschen diskutieren! Es geht alle an! Bitte bringen Sie sich ein!

– Hella Dunger-Löper, Präsidentin Landesmusikrat Berlin e.V

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Marta Stankevica, CC BY 4.0 Woman_Writing_a_Letter

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