Interview mit Rwandan Records

field notes #11

1. März 2019 | Redaktion

Autoverkehr
©Chris Schwagga

Das begehbare Musiktheater »Rwandan Records« verbindet präkoloniale Geschichten mit Erzählungen der Gegenwart aus Ruanda und Deutschland. Vor der Uraufführung am 21. März im Haus der Kulturen der Welt sprachen wir mit den Künstler*innen Milena Kipfmüller und Jens Dietrich, die das Projekt zwischen Kigali und Berlin entwickelten.

field notes: Ihr wart bis vor kurzem noch auf Recherchereise in Ruanda, um Musik und Interviews zu machen. Wie klingt das Land?

Milena: So etwas zwischen vorsichtig und höflich. Auf großen Plätzen hört man keine lauten Gespräche, keine Rufe, sondern beständige, leise Einzelgespräche. Selbst der Baustellenlärm scheint gedämpft. Von den Hügeln hört man Motorräder die steilen Straßen hinaufknattern, ab und an, obwohl es nicht viele Moscheen gibt, Gebetsrufe. Die leise Atmosphäre bringt einen dazu, genau hinzuhören, man wird neugierig.

field notes: Was erwartet uns bei »Rwandan Records«?

Milena: Man taucht in einen Kosmos von Klängen und Geschichten ein, die einen in den Bann ziehen. Es ist ein Parcours über mehrere Stationen, bei denen man ungewöhnliche Menschen kennenlernt. Die Besucher*innen entscheiden für sich, wem sie weiter folgen möchten, in welche Themen sie eintauchen. Die Protagonist*innen sind auf der Suche nach der Vergangenheit oder versuchen, vor ihr zu fliehen. Die Biographien verknüpfen sich und man möchte das Gesamtbild bekommen, was einen zur nächsten Station treibt.

field notes: Das Projekt lebt von der Arbeit mit Beteiligten vor Ort. Wie fließen die Begegnungen in die Arbeit im HKW ein?

Jens: Ich habe schon mehrere Projekte mit Künstler*innen aus Ruanda realisiert. Wir kannten den größten Teil der Menschen, die mit ihren Stimmen und ihrer Musik Teil des Projekts sind, so dass die Besucher*innen beim Zuhören ebenfalls Teil dieses Vertrauensverhältnisses werden. Zudem arbeiten wir daran, dass das Projekt demnächst auch in Kigali stattfindet. Eric 1key, ein ruandischer Autor und MC ist in Berlin dabei und wird mit dem hiesigen Musiker Klaus Janek den Raum live musikalisch bespielen.

field notes: Im Herzen des Musiktheaters geht es um die Verantwortung des Individuums an der kollektiven Geschichtsschreibung und -verarbeitung. Wie setzt Ihr das szenisch um?

Jens: Das Publikum kann sich anhand einer Karte durch den Raum orientieren, wählt dabei selbst aus, auf welche Stationen es sich einlässt. Man kann so einer bestimmten Geschichte folgen, dabei wird aber anderes ausgelassen. So lässt sich erfahren, dass die eigene Entscheidung dazu beiträgt, welchen Ausschnitt vom Gesamtbild ich mitnehme. Und das ist vielleicht der, der am meisten mit mir zu tun hat.

field notes: Das Stück arbeitet mit Künstler*innen aus Ruanda, Belgien und Deutschland. Welche Rolle spielt der Einfluss der ehemaligen Kolonialmächte Deutschland und Belgien auf die ruandische Gegenwart?

Jens: Ruanda ist erst spät und zu Beginn nur sehr verhalten kolonisiert worden, trotzdem hatten die Deutschen zu Beginn des 20. Jhd. Einfluss auf die Innenpolitik, indem sie den König gegen innere Gegner*innen unterstützen. Entscheidend waren dann vor allem die Christianisierung und die Rassenideologie, die die Europäer*innen nach Ruanda brachten: Die Vorstellung, dass es zwei Ethnien gibt, wovon die eine überlegen ist. Das war eine der Grundlagen, die zum Genozid an den Tutsi führte. Einer unserer Interviewpartner meinte, es gebe die Post- und die Prä-Genozid-Generation. Und letztere sei stark auf der Suche nach ihrer Identität, was dann auch die präkoloniale Zeit umfasst.

field notes: Wo verortet ihr Euren Beitrag im Rahmen des diskursiven Musikfestivals Find the File, das Fragen nach dem Umgang mit musikalischem Kulturerbe in Zeiten der voranschreitenden Digitalisierung nachgeht?

Jens: Ruanda hat mehrere, tiefgreifende Umwälzungen erlebt, die jüngste ist die digitale Revolution, die im Land stärker durchschlägt als in Europa. Die Post-Genozid-Generation orientiert sich stark an den USA und den ostafrikanischen Nachbarn, an der Musik aus Nigeria oder dem Kongo. Ein 23-Jähriger sagte uns, dass er sich Sorgen mache, dass die neue Generation ihre eigene Geschichte vergisst, die er doch so verzweifelt sucht. Bei »Rwandan Records« bekommt man mit, wie sich diese Suche gestaltet. Durch die Digitalisierung werden eben auch die Archive der eigenen Kultur zugänglich, die alten Musikaufnahmen, die Geschichten der Alten. Und dabei bleibt es immer die Aufgabe von jedem*r, die einzelnen Puzzlestücke zu einem Bild zusammenzufügen.

field notes: Hat es einen Grund, dass ihr mit Deutschland und Ruanda zwei Länder mit besonders schwierigen Geschichten ausgewählt habt?

Jens: In Deutschland und Ruanda gibt es das Bewusstsein, dass die Geschichte etwas Toxisches hat, dass Identität ein problematischer Begriff ist. Und in beiden Ländern gibt es das große Bedürfnis, sich nach außen zu öffnen und der Globalisierung eher positiv gegenüber zu stehen. Mich hat fasziniert, welche großen Emotionen bei unseren Interviewpartner*innen hinter dem gefassten Äußeren stecken, was ja gewisse Parallelen mit Deutschland aufweist, weswegen die Geschichten und die Musik einen Sog entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann.

 

à Haus der Kulturen der Welt

21.–24.03.2019, begehbar zwischen 17–20 Uhr

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