ACUD MACHT NEU: »Ein Wiedereinstieg ins Hamsterrad ist keine Option«

Freie Szene – Freier Fall?

1. September 2021 | Johannes Braun, Julie Gayard

 Fotografie eines Theaters/Kino/Cafe
©Sophie Adamski

Für Johannes Braun und Julie Gayard vom ACUD MACHT NEU steht fest: Wenn es wieder los geht, dann bitte nicht so wie zuvor. In ihrem Statement für #FreieSzeneFreierFall machen die beiden sich allerdings keine Hoffnungen auf eine langfristige Hilfe für die freien Spielstätten.

Wir sind seit nun über zehn Monaten mindestens im Teil-Lockdown. Vor der Pandemie basierte unsere Strategie darauf, das Kulturprogramm, die Räume und das Team durch Getränkeeinnahmen und private Veranstaltungen querzufinanzieren. Größere Projekte und Reihen waren immer nur möglich mit zusätzlichen Projektförderungen. 

Diese Strategie hat schon in den letzten Jahren nur eingeschränkt funktioniert – letztlich investierten wir den größten Teil der Arbeit in den Versuch, Monat für Monat die Kosten zu decken und die Projektbürokratie zu verwalten. Trotzdem waren wir in dieser Zeit einer der aktivsten nichtinstitutionellen Kulturorte der Stadt ­– mit drei Räumen, die monatlich durchschnittlich zwanzig Veranstaltungen mit Lesungen, Konzerten, Performances, Clubnächten und Ausstellungen präsentierten.

Unsere Erfahrung aus den letzten sieben Jahren dabei ist: Ohne Basisförderung ist das Aufrechterhalten eines Kulturortes mit einem kuratierten Kulturprogramm in Berlin schlicht nicht mehr möglich. Insofern bedeutete der Lockdown für uns auch ein Anhalten des Hamsterrades, welches uns dazu gezwungen hat, immer weiter zu rennen, ohne dabei wirklich vorwärts zu kommen. 

Konnten in der Pandemie anfangs die finanziellen Einbußen und die Arbeitslosigkeit des Teams noch durch Soforthilfen und ein Crowdfunding aufgefangen werden, geht der seit zehn Monaten andauernde Verlust der Einnahmen längst an die Grundsubstanz – sowohl bei vielen Mitarbeiter*innen privat als auch für das Kunsthaus an sich. Überbrückungsgelder, Kurzarbeitsgeld, laufende Projekte und Novemberhilfe decken zum Glück noch die größten Löcher. Gleichzeitig erlebt man aber auch, wie Mitarbeiter*innen seit Juni erfolglos versuchen, ALG II zu bekommen und dabei immer noch mehr Formulare ausfüllen und Dokumente einsenden müssen. 

Realistisch wird frühestens im Mai wieder ein einigermaßen regulärer Betrieb möglich sein. Klar ist allerdings jetzt schon, dass ein Wiedereinstieg in das alte Hamsterrad keine Option ist, da auch alle finanziellen Rücklagen aufgebraucht sind und das bisherige Modell keine Zukunft hat.

Wir haben bereits begonnen, Gespräche mit anderen Akteur*innen und Veranstalter*innen aus der Kulturszene zu führen und werden diese in den nächsten Monaten noch verstärkt weiter führen: Die Frage ist, wie es danach weitergehen kann – wie überhaupt noch freie Kulturarbeit unter den erschwerten Bedingungen einer immer teurer werdenden Stadt realisierbar ist. Ein Kulturprogramm, welches nur durch Selbstausbeutung und Niedriglöhne ermöglicht wird, ist weder nachhaltig noch ethisch vertretbar. Das Ergebnis dieses Prozesses ist offen und in welcher Form es am Ende weiter gehen wird noch unklar.

Wenn die Frage gestellt wird, was man brauchen würde, um auf einer vernünftigen Ebene weiter zu machen, dann wäre die Antwort vor allem eine monatliche Grundförderung, die die Grundkosten für die Räume und ein Grundgehalt für das Team, welches die Organisation, Betreuung und Verwaltung der Spielstätte übernimmt, decken. Dann könnte man sich auf die Kulturarbeit konzentrieren und in einer offenen Struktur verbundener Akteur*innen und Kurator*innen kostenfrei die Räume anbieten für einzelne Veranstaltungen, sogar kleine Budgets bereitstellen und dabei neue Projekte entwickeln, für die man dann international und lokal zusätzliche Projektmittel einwerben könnte. 

Wenn man ehrlich ist, muss man aber davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren im Kulturbereich gespart werden wird. Die eh schon begrenzten Mittel der Förderung für die Freie Szene werden dann zugunsten des Erhalts städtischer und bezirklicher Institutionen reduziert werden. Die Tendenz der letzten Jahre ging eh schon in Richtung einer Kommunalisierung der Kulturszene. Die Mittel werden in Zukunft verstärkt in die Entwicklung städtischer Orte, wie der alten Münze, dem Haus der Statistik und die kommunalen Galerien fließen. Grundsätzlich ist die Entwicklung und Sicherung dieser Orte natürlich zu begrüßen. Aber wir machen uns trotzdem keine Illusionen in Hinsicht auf die verbleibenden Mittel für die sonstigen freien Spielstätten. 

Zu hoffen wäre natürlich, dass es anders kommt. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre waren doch ernüchternd, wenn man verfolgte, wie wenig von den zusätzlichen Steuereinnahmen dann tatsächlich ihren Weg in die Freie Szene fanden.

– Johannes Braun und Julie Gayard, Künstlerische Leitung des ACUD MACHT NEU

Noch nicht alles gesagt? Bestimmt nicht. Deshalb freuen wir uns auf weitere Positionen aus der Freien Szene und darüber hinaus. Unseren Call for Statements mit einigen Leitfragen findet ihr hier.

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