Releases des Monats

März 2024

17. März 2024 | Kristoffer Cornils

Two hands hold a red, semi-transluscent vinyl record
©Nikta Vahid-Moghtada

»Partizipation und Klangforschung mit jungen Menschen« lautet der Untertitel von Dr. Christiane Plank-Baldaufs Leitartikel in der aktuellen Ausgabe von field notes. Der Begriff »Zugang« fällt darin lediglich zwei Mal, doch handelt es sich in diesem Kontext wie überhaupt im Bereich der Musik um einen entscheidenden. An Projekten wie QuerKlangLOUDsoftgeräusch[mu’si:k], dem georg katzer ensemble sowie natürlich vergleichbaren Bemühungen des exploratoriums ist bemerkenswert, dass sie ihre Arbeit nicht nur alters-, sondern ebenso weitgehend klassenübergreifend verrichten – womit keineswegs gemeint ist, dass in ihrem Rahmen lediglich die 1a und 1b zusammenfinden. Der Zugang zu insbesondere den Musiken, die im Zentrum von field notes stehen, wird nämlich immer auch durch sozioökonomische Verhältnisse (vor-)geprägt. Die Kultur(-arbeit) und insbesondere ihre Förderung tragen besonders hinsichtlich Kindern und Jugendlichen damit eine mehr als relevante gesellschaftliche und politische Verantwortung. Um Zweiteres wird sich in Zukunft, so hat es den Anschein, umso engagierter bemüht werden müssen.

Der Zugang zu Aufnahmen von Musik ist hingegen direkter denn je. Wer einen Internetzugang und funktionierende Lautsprecher hat, bekommt Zugriff auf das größte musikalische Archiv der Menschheitsgeschichte. Der Zugang mag unbegrenzt sein, unkontrolliert ist er hingegen nicht: Kaum eine Plattform, die nicht algorithmisch darauf einwirkt, was genau den Hörer*innen vorgesetzt wird und was nicht, die nicht ihre Geschäftsinteressen nicht im Code festgeschrieben hätte, um so das Konsumverhalten in ihrem Sinne zu steuern. Partizipation oder Klangforschung, die aktive Auseinandersetzung mit dem unbekannten Musikalischen, fällt dabei nachgerade unter den Tisch. Auch in dieser Hinsicht wird es in Zukunft gesteigerte Bemühungen geben müssen, wie die oben genannten Projekte zum herkömmlichen schulischen Musikunterricht alternative Angebote aufzubauen, um für Künstler*innen wie Publikum gleichermaßen egalitärere Zugänge zu schaffen.

Solche können nur in der Zusammenarbeit geschaffen werden und die Releases des Monats im März machen vor, wie das geht: Kaum ein Album (oder Buch!) findet sich darunter, für das sich nicht verschiedene Menschen zusammengetan hätten, um Räume zu anderen Welten zu öffnen. Wir wünschen viel Vergnügen damit. 

Alëna Korolëva – Premonitions (forms of minutiae, MC/digital)

Die Klangkünstlerin Alëna Korolëva fertigte »premonitions«, veröffentlicht über das Berliner Label forms of minutiae, als Auftragsarbeit für die Plattform Radiophrenia an und brachte damit die nordamerikanische Flora und Fauna mit Chayka Chekhov an der Trompete in den Dialog. Was sich auf dem Papier wie eine recht konventionelle Soundscape-Arbeit lesen mag, das klingt von der ersten Sekunde an ausgesprochen komponiert: Korolëva nutzt das Grollen des Windes als rhythmisches Grundgerüst und Froschchöre als flirrende Orgeltöne, setzt das Gurren von Vögeln als Kanon ein und kontrapunktiert es mit undefiniertem Gepolter. Wie eine unbekümmerte DJ fadet sie von einem Kontrastprogramm zum nächsten rüber, lässt Chekhovs erst spät im Mix auftauchendes Spiel aus dem Wasserplätschern auftauchen und so schnell wieder verschwinden, wie es gekommen ist. Eine absolut bemerkenswerte Arbeit, die mit merklicher Spielfreude alle Konventionen des Soundscapings ignoriert.

Bauer + Katharina Schmidt – Open Water (Moon Villain, MC/digital)

Neuigkeiten von der nimmermüden Katharina Schmidt: Gemeinsam mit Bauer ist die Berliner Künstlerin in den File-Austausch zwischen der deutschen Hauptstadt und London gegangen, das Resultat heißt – vielleicht ist, das läge ja ungefähr in der Mitte, der Ärmelkanal gemeint? – »Open Water« und erschien einen Atlantik weiter beim Label Moon Villain aus der US-amerikanischen Küstenstadt Boston. Wogende Dynamiken prägen auch die vielschichtigen, tiefschürfenden sechs Stücke. Sie werden von feinen Rhythmen akzentuiert und breiten sich über weite Klangspektra aus – auf der Oberfläche mag das ruhig oder zumindest beruhigend scheinen, darunter lauert aber noch viel, viel mehr. Diese Gewässer sind tief. 

Billy Bultheel – Two Cycles (PAN, digital)

Der Komponist Billy Bultheel ist vor allem für seine Arbeiten für Anne Imhof und dem Duoprojekt 33 gemeinsam mit Alexander Iezzi bekannt, bei »Two Cycles« handelt es sich um das verspätete Solo-Debüt des zwischen Brüssel und Berlin lebenden Künstlers. Ein Album im konventionellen Sinne mag es nicht sein, im eigentlichen aber schon: Die in zwei Zyklen arrangierten 13 Stücke entstanden unabhängig voneinander zwischen den Jahren 2016 und 2023. Der »Snow Cycle« versammelt elektroakustische und für akustisches Instrumentarium komponierte Stücke, der »Game Cycle« elektronische Arbeiten, in denen bisweilen eine Affinität zu zeitgenössischer Clubmusik hörbar wird. Ein klangliches Fotoalbum voller Schnappschüsse, heterogen und voller Überraschungen.

Cosmin TRG – Ecstatic Data (Feral Note, digital)

Cosmin Nicolae hat unter dem Pseudonym TRG beziehungsweise Cosmin TRG schon eine Karriere als Produzent bassiger Clubmusik hinter sich, wandte sich zuletzt aber abstrakterer elektronischer Musik zu. Nach der Veröffentlichung seines Meta-Ambient-Albums »Hope This Finds You Well« veröffentlicht er über das Berliner Label Feral Note mit »Ecstatic Data« so gesehen bereits zum zweiten Mal: Das Gros der Stücke war bereits auf der massiven Label-Compilation »KLANGBOX III« zu hören. Im Laufe dieser elf Tracks vertieft der auch als Komponist für Tanz und Theater sowie Filmemacher aktive Nicolae seine Auseinandersetzung mit den Wechselwirkungen von (Poly-)Rhythmik und (Klang-)Raum. Das Ergebnis ist eine zutiefst ambivalente Atmosphäre, in welcher sich eine gesamtgesellschaftliche Aporie in Zeiten des totaltransparenten Informationszeitalters spiegelt: Das Unbekannte ist verloren gegangen. »Ecstatic Data« reagiert darauf, indem es die Klänge verschwimmen und die Konturen verwischen lässt. 

Cosmin TRG · Cosmin TRG - KLANGBOX III - 19 Taciturn Upon Return

Dagar Brothers – Berlin 1964 – Live & Berlin 1964 – The Lost Studio Recording (Black Truffle, CD/digital & LP/digital)

Im Januar verstarb mit Amelia Cuni eine der wichtigsten Vertreter*innen der nordindischen Dhrupad-Tradition im europäischen Raum. Zwei Archivaufnahmen von Konzerten der lange in Berlin lebenden Künstlerin erschienen in den vergangenen Jahren auf Oren Ambarchis Black Truffle. Ebendort geht die Beschäftigung mit Dhrupad weiter: Moinuddin und Aminuddin Dagar galten als zwei der Größten ihres Feldes, haben nach der Unabhängigkeit Indiens die Tradition am Leben erhalten und mit einer internationalen Tour in den Jahren 1964 und 1965 (Moinuddin starb im folgenden Jahr) einem breiteren Publikum bekannt gemacht. »Berlin 1964 – Live« und »Berlin 1964 – The Lost Studio Recording« dokumentieren jeweils exakt das, was der Titel verspricht: Gemeinsam mit Moinuddins Frau Saiyur am Tanpura und Raja Chatrapati Singh am Pakhawaj performen die Dagar Brothers in einer Konzertsituation sowie im Studio verschiedene Ragas, wobei die Aufnahmequalität die jeweiligen Kontexte reflektiert – hier lebendiger aus dem Moment heraus, dort fokussierter und klarer. 

Francesco Corvi & Hugo Lioret – Live at Trickster (SUPERPANG, digital)

Der Trickster ist ein kleiner, um nicht zu sagen klandestiner Club in Kreuzberg und ein Set wie das von Francesco Corvi & Hugo Lioret im Oktober letzten Jahres dort offensichtlich gut aufgehoben. »Live at Trickster« dokumentiert einen zwanzigminütigen improvistorischen Dialog zwischen Live-Coding im Supercollider (Corvi) und einem Buchla-Synthesizer beziehungsweise Sample-Processing (Lioret). Konzeptueller Ausgangspunkt markierte das japanische Konzept des Wabi-sabi, verkürzt gesagt: Die Schönheit, die sich im Verborgenen offenbart – etwa in menschlichen Fehlern in einem sehr technischen Setting. Wo genau die Maschinen menschliche Errata (re-)produzieren, das bleibt dieses Mini-Live-Album über indes offen. Oder es muss sich durch sehr genaues Hinhören erschlossen werden.

Hainbach – The One Who Runs Away Is the Ghost OST (Seil, MC/digital)

Stefan Paul Goetsch ist der wohl sympathischste YouTuber der Musik-Gear-Sparte und kann nicht nur den obskursten Gerätschaften Geräusche entlocken, sondern damit auch wirklich gute Musik machen. Im März stellt er das gleich doppelt unter Beweis: Für »Pipe Dreams« schloß er sich gemeinsam mit Kollaborationspartner LOOK MUM NO COMPUTER und  ein paar Synthesizern für ein paar Tage im Berliner Heimstudio ein, den Soundtrack zur Dokumentation »The One Who Runs Away Is the Ghost« schrieb er hingegen im Alleingang. Die Geschichte zweier Schwestern, die ihre Kindheit in einem riesigen Elektronikmarkt in der chinesischen Stadt Shenzhen verbringen, vertonte er mit schlierigen Texturen, die bisweilen an abstraktere Vaporwave-Produktionen denken lassen. Darin spiegelt sich die Verspieltheit und die Ambivalenz des Films der Regisseurin Qinyuan Lei, deren filmische Aufmerksamkeit für das Detail musikalisch perfekt komplementiert wird.

Hanno Leichtmann & Valerio Tricoli – Cinnte le Dia (Ni Vu Ni Connu, LP/digital) & Hanno Leichtmann – Outerlands (Discrepant, LP/digital)

Hanno Leichtmann ist nie nicht umtriebig und begrüßt den Frühling mit gleich zwei neuen Veröffentlichungen. »Cinnte le Dia« ist sein bereits drittes Album in Kollaboration mit dem anarchischen Elektroakustiker Valerio Tricoli. Erneut kehrt das Duo damit auf das Label Ni Vu Ni Connu zurück, das sich mit einer Serie auf die Dokumentation der Berliner Szene für Echtzeitmusik spezialisiert hat und dabei Duo-Arbeiten in den Fokus nimmt. Mit »Outerlands« debütiert der Schlagzeuger und Elektroniker Leichtmann gleichzeitig auf dem portugiesischen Qualitäts-Label Discrepant. Ausgangspunkt dafür war ein Aufenthalt in der Villa Aurora in Santa Monica, die das zentrale Instrument für dieses Album beherbergt: Eine Orgel, deren Klänge Leichtmann durch die einer Marimba und Röhrenglocken ergänzt. Viel Stoff auf einmal, mehr ist allerdings schon auf dem Weg: Bald erscheint auf arbitrary mit »Code & Melody« ein neues Album von Denseland, Leichtmanns Bandprojekt mit Texter und Vokalist David Moss sowie Bassist Hannes Strobl. 

Transparenzhinweis: Der Autor hat an den Veröffentlichungen »Cinnte le Dia« und »Code & Melody« mitgewirkt

HJirok – Hjirok (Altin Village & Mine, LP/digital)

Hani Mojtahedy und Andi Toma gründeten ihr Projekt HJirok zu Beginn der Pandemie und konzentrierten sich zuerst auf installative Arbeiten, mit »Hjirok« (mit kleinem J) legt das Berliner Duo aber nun sein – bereits während des CTM Festivals im Rahmen von zwei Konzerten vorgestelltes – Debütalbum vor. Das basiert auf Aufnahmen traditioneller Sufi-Rhythmen und -Klänge, die die beiden im irakischen Kurdistan aufgenommen und weiter verarbeitet sowie mit Field Recordings aus unter anderem Teheran angereichert haben. Ähnlich rekombinatorisch sind auch die Vocals Mojtahedys, die in den von verschiedenen Poeten inspirierten Lyrics Kurmandschi und Farsi mischt, auf gesangliche Konventionen zurückgreift und doch weit über sie hinausgeht. Diese Verblendungen tragen ein politisches Potenzial in sich: Sie sprechen von einem Miteinander der Zeiten, Orte und Kulturen, das dezidiert utopisch ist.

Transparenzhinweis: Der Autor hat an der Veröffentlichung von »Hjirok« mitgewirkt.

Jad Atoui, Jawad Nawfal and Sharif Sehnaoui – Modern Individual (Ruptured, MC/digital)

Das Label Ruptured wurde im Jahr 2008 von zwei umtriebigen Mitgliedern der Musikszene Beiruts, Ziad Nawfal und Fadi Tabbal, gegründet und dokumentiert seitdem laufend die Entwicklungen innerhalb der dortigen Community. Für das nächste Release dort, »Modern Individual«, tun sich drei Musiker zusammen: Jad Atoui ist vor allem an Synthesizern und Drummachines aktiv, der bisweilen auch im Umfeld von Cedrik Fermonts Label Syrphe aktive Jawad Nawfal hat in eben diesem Bereich auf lokaler Ebene Pionierarbeit geleistet und der Al-Maslakh-Mitbetreiber Sharif Sehnaoui ist vor allem als Improvisateur auf der Gitarre bekannt. Im Laufe dieser sechs Stücke verblenden sie ihre jeweiligen Interessen und Talente auf immer unterschiedliche Arten. Das Ergebnis ist ein spannungsgeladenes, spannendes Album. 

Luis Alvarado & Alejandra Cárdenas (Hrsg.) – Switched On: The Dawn of Electronic Sound by Latin American Women (Contingent Sound, Buch)

The book "Switched On: The Dawn of Electronic Sound by Latin American Women"
© Luis Alvarado & Alejandra Cárdenas

Alejandra Cárdenas Pecheco ist – vor allem mit ihren Arbeiten unter dem Pseudonym Ale Hop – immer wieder in dieser Kolumne zu Gast, diesmal aber geht es eigentlich nicht um sie. Gemeinsam mit Luis Alvarado, Betreiber des Labels Buh und unermüdlicher Chronist musikalischer Strömungen aus der Vergangenheit und Gegenwart Perus und anrainender Länder, hat sie über ihr Imprint Contingent Sound die Anthologie »Switched On: The Dawn of Electronic Sound by Latin American Women« herausgegeben. Über etwas mehr als 200 Seiten widmen sich diverse Autor*innen dem Schaffen von etwa Beatriz Ferreyra und der kürzlich durch Buh einer breiteren Öffentlichkeit präsentierten Jacqueline Nova und Oksana Linde oder der vor allem als bildende Künstlerin bekannten Teresa Burga. Darüber hinaus finden sich jedoch viele im westlichen Kontext wohl noch völlig unbekannte Namen. Es gibt in diesem kompakten Buch viel zu entdecken.

Ludwig Wittbrodt – Schleifen (Ana Ott, digital)

Eben noch im ausland, jetzt schon im Internet: Das neue Album des Duos Ludwig Wittbrodt. Edis Ludwig (Laptop und Schlagzeug) und Emily Wittbrodt (Cello) sind auf die unterschiedlichsten Arten in verschiedene musikalische Kontexte eingebettet. Mit »Schleifen«, das sie am 2. März bei den biegungen im ausland vorstellten, haben sie ein dementsprechend kontrastreiches Album über das Label Ana Ott veröffentlicht. Was mit weißem Rauschen beginnt und mit wogenden Drones langsam Anlauf nimmt, durchläuft in nur sieben Stücken die verschiedensten Stimmungen und stilistischen Aggregatszustände. Hier werden Zugeständnisse an Clicks’n’Cuts-Ästhetiken gemacht, dort das Cello zum Streichorchester aufgeblasen, dann scheinen Ludwig Wittbrodt ein unentdecktes Xenakis-Stück zu performen, um gleich darauf wieder den Mainframe heißlaufen zu lassen. Eine veritable Wundertüte.

Marta Forsberg – Sjunger För Varandra (Warm Winters Ltd., digital)

Nachdem Marta Forsberg in den ersten beiden Pandemiejahren in schneller Taktung immer neues Material veröffentlichte, hielt sich die in Berlin lebende Komponistin zuletzt eher zurück. Das änderte sich Anfang des Monats, als über ihr Stamm-Label Warm Winters Ltd. mit »Sjunger För Varandra« (»Füreinander singen«) die Resultate einer Auftragsarbeit der schwedischen Organisation Nymus erschienen. Neben von Forsberg eingespielten Streichern sowie perkussiven Ergänzungen von Bex Burch steht – ein Leitmotiv in Forsbergs Arbeit – die menschliche Stimme im Zentrum dieses vierteiligen Zyklus. Genauer gesagt ist es die ihres Bruders Tomasz, singend unter einer Bahnunterführung in der Heimatstadt der Geschwister oder im Gespräch, die dupliziert und miteinander arrangiert wird. Forsberg hat ein unnachahmliches Talent dafür, mit Vocals zu arbeiten, sie gleichzeitig konkret und abstrakt wirken zu lassen – intim und plastisch, distanziert und artifiziell. Das einzige Manko von »Sjunger För Varandra«: Dieses Mini-Album hätte deutlich länger ausfallen können, ohne einen Deut dabei zu verlieren.

Niels Lyhne Løkkegaard & Quatuor Bozzini – Colliding Bubbles (Important, CD/digital)

Das kanadische Quatuor Bozzini ist dafür bekannt, unkonventionelle Wege einzuschlagen, die Umsetzung von Niels Lyhne Løkkegaards »Colliding Bubbles (surface tension and release)« dürfte das Streichquartett aber vor ein paar logistische Herausforderungen gestellt haben: Alle vier Mitglieder spielen in dieser knappen halben Stunde zugleich ihr jeweiliges Instrument und nebenbei die Mundharmonika. Das passt wohl in das – zugegeben etwas schwammig klingende – Konzept des dänischen Komponisten und Klangkünstlers, der in der Vergangenheit auch gerne Musik für 16 Triangeln schrieb. Vor allem aber klingt es weniger nach platzenden Blasen, sondern schafft die allerschönsten klanglichen Reibungen. Irgendwann ist überhaupt nicht mehr klar, welche Instrumente eigentlich genau zu hören sind. Stattdessen schwebt ein regenbogenfarben-schillernder, fluktuierender Drone im Raum. 

Simina Oprescu – Sound of Matter (Hallow Ground, LP/digital)

f = K1t/d^2√E/s(1-m^2): Das ist die Formel, mittels derer Simina Oprescu die intrinsischen Klangqualitäten von 15 im Märkischen Museum und dem Stadtmuseum Berlin untergebrachten Kirchenglocken abstrahieren konnte. Wie genau das konkret klingt, lässt sich auf ihrem Debütalbum »Sound of Matter« nachhören. Im Rahmen von (Klang-)Forschungen beschäftigte sich Oprescu nicht nur akademisch, sondern auch praktisch-kreativ mit den Potenzialen der Instrumente und transformierte eine mehrkanalige Installationsarbeit in die zwei auf der LP zu hörenden Stücke. Die klingen zugleich warm und kalt, sind durchwoben von Schwingungen und scheinen doch statisch im Raum zu stehen – vergleichbar mit einigen Werken Alvin Luciers, zu Teilen sogar Éliane Radigues geduldiger Klangforschung.

Transparenzhinweis: Der Autor war an der Veröffentlichung von »Sound of Matter« beteiligt.

sinonó – la espalda y su punto radiante (Subtext, digital)

Gemeinsam mit Lester St. Louis am Cello und Henry Fraser am Kontrabass bettet Crespo Pardo als sinonó Lyrik in Musik ein. Oder aber lässt beides ineinander zerfließen. Pardos zurückhaltende Vokal-Performance und das bedachte, keineswegs aber um Dissonanzen verlegene (Zusammen-)Spiel von Louis und Fraser schafft auf »la espalda y su punto radiante« auf Subtext immer wieder Momente der klanglichen Verknotungen zwischen Stimme und Instrumenten, wieder und wieder scheinen sich Unisoni zwischen ihnen anzudeuten oder sie zumindest zu einer Art von Liedform zueinander zu finden. Ob es aber die Worte oder doch die Klänge sind: Etwas bricht irgendwann aus diesen geregelten Bahnen aus, sobald sich noch die kleinste Struktur herausbilden kann. Das Trio schafft so mit minimalen Mitteln maximale Spannungen und packende Dynamiken. Ein gerade wegen seiner (weitgehend) stillen Intimität absolut überwältigendes und ergreifendes Album. 

Stemeseder Lillinger – ANTUMBRA (Plaist, LP/CD/digital)

Elias Stemeseder und Christian Lillinger arbeiten seit geraumer Zeit zusammen, »ANTUMBRA« ist der Nachfolger von »PENUMBRA« aus dem Jahr 2022 auf Lillingers Label Plaist. Während der Percussionist im Verbund mit Kontrabassist Jonas Westergaard und Vibrafonist Christopher Dell auf bastille musique vorrangig an der Schnittstelle von zeitgenössischer Musik und Jazz arbeitet, konzentriert er sich gemeinsam mit dem Pianisten Stemeseder auf eine Art avanciertes Beatmaking, in das auch die Klänge von etwa einem Gayageum oder einem Banjo eingeflochten werden. Obwohl – oder doch: gerade weil? – der konzeptuelle Rahmen begrenzt ist, fallen die Ergebnisse denkenswert offen aus. Ständig passiert etwas Neues, im Sekundentakt verändern sich Tonalität und Richtung der einzelnen Stücke. Reichhaltiges Synapsenfutter.

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