»Poesie ist eine universelle Sprache, die über die Grenzen der Medien hinausgeht«

Katalin Ladik im Interview

1. Juli 2024 | Lisa Nolte

Portrait von Katalin Ladik
©Éva Szombat

Katalin Ladik erforscht in ihren Arbeiten Sprache durch visuelle und stimmliche Ausdrucksweisen, Bewegung und Gesten. Als eine der wenigen weiblichen Protagonist*innen der künstlerischen Avantgarde hat sie sich mit ihrem radikalen Ansatz im ehemaligen Jugoslawien der 60er/70er Jahre als Pionier*in der akustischen Poesie etabliert. In diesem Jahr widmet das Festival Heroines of Sound ihrem Schaffen einen Schwerpunkt. Mit field notes Redakteurin Lisa Nolte tauschte sich Katalin Ladik per Mail über ihre Arbeitsweise und ihre Sicht auf die Rolle von Poesie heute aus.

Wenn man in Swansea die Brücke ins Stadtzentrum überquert, wird man von einem riesigen Plakat empfangen, auf dem steht: »More Poetry Is Needed.«(1) In der letzten Zeit gibt es eine bemerkenswerte Anzahl an Ausstellungen, die Ihre Arbeit umfassend präsentieren. Kann dieses Bedürfnis nach Poesie, nach einer kritischen Kunst, die Ausdrucksweisen jenseits von Parolen findet, ein Grund dafür sein? Würden Sie Forderung »More Poetry Is Needed.« unterschreiben?

Selbstverständlich finde ich auch, dass mehr Poesie gebraucht wird. Poesie vermag es, die Realität auf eine ganz besondere Weise zu erfassen und zu vermitteln, die über Slogans und oberflächliche Ausdrücke hinausreicht. Dieses zunehmende Bedürfnis nach Poesie trifft auf die Entstehung neuer Publikationsformen im Internet und oder in Live-Poesie-Abenden, wie Poetry Slams. Die Letzteren erfreuen sich seit Jahrzehnten enormer Beliebtheit. In den letzten Jahren hat das Interesse an meiner Arbeit tatsächlich deutlich zugenommen. Das könnte am wachsenden Bedürfnis der Menschen nach tieferen, nachdenklicheren künstlerischen Ausdrucksformen liegen.

In Ihren Werken verwenden Sie die gesamte Bandbreite von Medien: Sie schaffen Installationen und Videoarbeiten; Sie schaffen mit Collagentechnik, Fotos oder Metallen Bilder, die sie visuelle Poesie nennen und für Ihre Vokalperformances als grafische Partituren nutzen. Würden Sie sagen, dass Poesie immer noch der Kern Ihrer Arbeit ist?

Für mich ist Poesie die authentischste und ideale Art des Ausdrucks. Ich bemühe mich in all meinen Werken, diese Authentizität und Vielfalt zu vermitteln, ob es sich um lineare – also geschriebene – Poesie handelt, um visuelle Kunst, Lautpoesie oder Performance. Poesie ist eine universelle Sprache, die über die Grenzen der Medien hinausgeht und die menschliche Seele und das Unterbewusstsein direkt anspricht.

Sie haben immer wieder in Kollektiven gearbeitet, wie zum Beispiel dem Ensemble Spiritus Noister oder der Künstler*innengruppe Bosch+Bosch. Auch bei Heroines of Sound werden Sie Arbeiten präsentieren, die in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen entstanden sind: Die Videoarbeit »O-pus«, die Sie 1972 gemeinsam mit Attila Csernik und Imre Póth entwickelt haben, und die Performance »Desire for Entanglement«, die sie zusammen mit der Sängerin Natalia Pschenitschnikova zur Uraufführung bringen werden. Was reizt Sie an solchen gemeinschaftlichen Kreationsprozessen? Wie sah dieser Prozess mit Natalia Pschenitschnikova aus und wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?

Das Spannendste an kollektiven kreativen Prozessen ist das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Perspektiven und Erfahrungen, die das Werk bereichern. In meiner Zusammenarbeit mit Natalia Pschenitschnikova haben wir uns gegenseitig inspiriert und ein Werk geschaffen, das unsere beiden künstlerischen Welten widerspiegelt. Im Verlauf unserer Zusammenarbeit haben wir einen offenen Dialog geführt, der es uns ermöglicht hat, unsere individuellen Ideen in unserem gemeinsamen Werk zu verwirklichen.


In Ihrer neuen Performance »Membrane Universe« spielen Ihre eigenen Lebenserfahrungen eine wichtige Rolle. Zugleich performen sie beim Festival im gleichen Programm mit Stimmkünstlerinnen anderer Generationen wie Ira Hadžić und Swantje Lichtenstein und sind selbst als Lehrerin tätig. Wie schätzen Sie die Wirkung und die Bedeutung der Arbeit mit so unmittelbaren Medien wie Stimme und Körper heute ein? Haben sich die Möglichkeiten einer solchen Arbeitsweise verändert im Vergleich zum Beispiel zur Entstehungszeit von »O-pus«?

Klang und der Köper haben mir in meinem künstlerischen Ausdruck schon immer als direkte und kraftvolle Mittel gedient. Mit dem technologischen Fortschritt haben sich über die Jahre neue Möglichkeiten eröffnet, aber das Wesentliche hat sich nicht verändert: Meine Gedichte, meine Stimme und mein Körper sind nach wie vor die elementaren Medien zur Vermittlung meiner Gefühle und Gedanken. Seit der Zeit von »O-Pus« habe ich meine Arbeitsmethoden verfeinert und weiterentwickelt, aber das grundlegende Ziel bleibt unverändert: authentisch sein, eine tiefe und ehrliche Beziehung mit meinen Leser*innen und meinem Publikum aufbauen.

Ein Credo von Heroines of Sound lautet: »Feministisch, vielfältig und interdisziplinär unterstützt das Festival die Präsenz von Frauen und nicht-binären - FLINTA* in der Kunst- und Musikwelt und macht die Verbindungen zwischen verschiedenen Genres erlebbar.« Wo verorten Sie Ihre Arbeit in diesem Kontext?

Es war mir immer schon ein Anliegen, in meinen Gedichten und Performances die traditionellen Genre- und Geschlechtergrenzen zu durchbrechen. Ich glaube, dass Kunst eine wichtige Rolle spielen kann beim Vorantreiben des sozialen Wandels, darum bin ich froh, meine Arbeit bei einem genre- und generationenübergreifenden Festival wie Heroines of Sound zeigen zu können, das Vielfalt und Inklusivität in der Welt fördern will. Meine Kunst fußt ebenfalls auf diesen Themen und Werten, darum hoffe ich, dass ich zu mehr Sichtbarkeit und Anerkennung für Frauen und nicht-binäre Künstler*innen in der Gesellschaft beitragen kann.

(1) »More Poetry Is Needed« ist eine Arbeit von Jeremy Deller, die 2014 anlässlich des 100. Geburtstags des Swansea zur Welt gekommenen Schriftstellers Dylan Thomas entstand.

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